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Schleichende Reproduktions-Kontrolle

Fehler und Versäumisse bei der Forschung zu Norplant zeigt ein Buch von Bettina Bock von Wülfingen auf, das Anfang 2001 erschienen ist. Die Autorin, die Biologie, Philosophie und Politikwissenschaft studiert hat, beleuchtet zudem bevölkerungspolitische Interessenlagen. Und sie bestätigt die Warnungen von Gentechnik-AnalytikerInnen vor schleichender, weltweiter Reproduktionskontrolle.

Bettina Bock von Wülfingen: Verhüten – überflüssig. Medizin und Fortpflanzungspolitik am Beispiel Norplant, Mössingen/ Talheim (Talheimer Verlag).



BETTINA BOCK VON WÜLFINGEN, Biologin, arbeitet heute am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität Berlin

Im Dienst der Bevölkerungspolitik

  • Viele Studien zum Verhütungsmittel Norplant blenden unerwünschte Wirkungen des Präparats einfach aus

aus: BIOSKOP Nr. 12, Dezember 2000, Seiten 12+13

Das Verhütungsmittel Norplant wird vor allem für den Gebrauch in Ländern der so genannten »Dritten Welt« propagiert – zwecks Geburtenkontrolle. Die Nutzerinnen können nicht kontrollieren, wie lange das Präparat wirken soll. Obendrein steht Norplant im Verdacht, unerwünschte Nebenwirkungen zu produzieren: In den USA verklagten deswegen 50.000 Frauen die Vertriebsfirma. Zu den pharmakologischen Eigenschaften und Effekten Norplants gibt es zahlreiche Studien. Eine kritische Durchsicht zeigt: Unerwünschte Wirkungen tauchen dort nicht auf – Forschung und bevölkerungspolitische Ziele überschneiden sich.

Norplant besteht aus sechs streichholzgroßen Kapseln, die unter die Haut gesetzt werden und kontinuierlich das Hormon Levonorgestrel freisetzen. Das Einsetzen und Herausoperieren des Verhütungsmittels, das fünf Jahre wirken soll, muss von speziell geschultem medizinischen Personal vorgenommen werden – der Anwenderin ist es unmöglich, selbst zu bestimmen, wie lange sie das Präparat einsetzen will.

Entwickelt wurde Norplant vom Population Council, einer so genannten non-profit-Organisation mit Sitz in New York. Deren erklärtes Ziel ist es, dem Bevölkerungswachstum in der so genannten »Dritten Welt« Einhalt zu gebieten. Verbreitet wird das Präparat durch internationale Institutionen wie Weltgesundheitsorganisation (WHO), Family Health International (FHI), International Planned Parenthood (IPPF) und durch nationale Familienplanungsprogramme.

Allein in den USA reichten über 50.000 Frauen aufgrund der Nebenwirkungen Klage gegen Vertreiber und ÄrztInnen ein.

Medizinische Studien beschreiben Norplant mit Attributen wie »hoch effektiv«, »hoch verträglich«, »sehr akzeptabel«, »sicher« und »geeignet«. Doch wer die wissenschaftlichen Artikel, derer es zu Norplant bisher rund 500 gibt, genauer anschaut und sie mit weiteren medizinischen Daten abgleicht, kommt zu einem anderem Ergebnis: Es bestätigten sich größtenteils Vorwürfe von Anwenderinnen, die kritisieren, dass die Nebenwirkungen von Norplant heruntergespielt würden. Allein in den USA reichten über 50.000 Frauen aufgrund der Nebenwirkungen Klage gegen Vertreiber und ÄrztInnen ein. Mehr als 36.000 Frauen erhielten 1999 eine Abfindung von der Firma American Home Products, rund 50 Millionen US-Dollar wurden insgesamt gezahlt.

Wissenschaftliche Studien unterscheiden unerwünschte Wirkungen, die unter Norplant auftreten, in Menstruationsstörungen und »andere« (nicht blutungsbezogene) Effekte. Die Kategorie »andere medizinische Effekte« wird in der Literatur auch gefasst als »persönliche Gründe«, »individuelle Konditionen« des Abbruchs der Norplant-Anwendung oder gar noch als »subjektive Nebenwirkungen«. In der »andere Effekte«-Kategorie werden – je nach Studie – bei 5 – 50 % der Anwenderinnen Migräne und/oder Kopfschmerzen angegeben. Androgen-Effekte wie Akne treten bei 5-25% der Anwenderinnen auf, starkes Körperhaarwachstum und/oder Ausfall der Kopfhaare bei 5 -10%. Bis zu 12 % der Frauen lassen sich Norplant bereits im ersten Anwendungsjahr wegen Depressionen entfernen. Eierstockzysten treten bei 10 – 20% der Anwenderinnen auf. Diese häufigsten Nebenwirkungen werden in den Resümees der meisten Studien zu Norplant nicht erwähnt oder verharmlost. Zudem bestreiten Hersteller den Zusammenhang mit Norplant und stellen Erfahrungen der Frauen in Frage.

Öffentlichkeit und ÄrztInnen sind auf Informationen angewiesen, die im Wesentlichen von Förderern und Vertreibern von Norplant finanziert und produziert wurden.

Unter Norplant-Anwenderinnen treten gemäß den Meldungen an die US-Gesundheitsbehörde und einzelnen Arztberichten mehrere, sehr seltene Erkrankungen (einige Fälle je 100.000 Frauen) gehäuft auf, zum Beispiel Pseudotumor cerebri, der durch hohen Druck des Hirnliquors auf die Nerven verursacht wird und zu Seh-, Hör- und Gleichgewichtsstörungen führt. Bleiben solche Erkrankungen unbehandelt, enden sie tödlich. Die Vertretung des Norplant-Vertriebs verteidigt das Präparat mit der hohen Zahl angefertigter (und bestätigender) Studien. Die für die Verbreitung in verschiedenen Staaten notwendigen Zulassungsstudien für Pharmaka sind jedoch im Besitz der zulassenden Firma, sie wurden im Falle von Norplant nicht veröffentlicht. Daher sind Öffentlichkeit und ÄrztInnen auf Informationen angewiesen, die im Wesentlichen von Population Council und Förderern und Vertreibern von Norplant (bis hin zur Weltbank) finanziert und produziert wurden.

Obwohl Norplant seit 1983 zunehmend und inzwischen von sechs Millionen Frauen weltweit angewendet wird, ist die von der USGesundheitsbehörde verlangte »post-marketing surveillance« erst 1998 beendet worden. Solche Expertisen könnten klären, ob sehr seltene Erkrankungen gehäuft auftreten. Die 1998 von der WHO beendete Studie ist bisher jedoch nicht zugänglich. Auch fehlen Forschungen zu Gesundheitsrisiken einer plötzlichen Levonorgestrel-Überdosis, wie sie beim Brechen der Implantate auftritt. Besonders frappant ist, dass es keine Studien zur Häufigkeit von HIV bei Norplant-Anwenderinnen gibt, obwohl belegt ist, dass die Anfälligkeit für vaginale Pilzinfektionen und Zervizitis durch das geschädigte Gewebe der inneren Sexualorgane erhöht ist.

Norplant gilt den BefürworterInnen als geeignetes Mittel für zwangsweise Verabreichung von Schwangerschaftsverhütung.

Spätestens bei Analyse so genannter Akzeptanzstudien, die einen großen Teil der Untersuchungen zu Norplant ausmachen, wird deutlich, wie sich medizinwissenschaftliche Erkenntnisbildung mit dem politisch-sozialen Anwendungszusammenhang von Norplant überschneidet. In Akzeptanzstudien wird ermittelt, wie hoch die Rate an Abbrüchen der Norplant-Anwendung ist. Die AutorInnen verzichten darauf, »Akzeptanz« zu definieren und gehen einfach davon aus, dass das Verbleiben eines Implantats im Arm der Anwenderin bedeutet, dass sie es akzeptiert. Die Abbruchraten sind von Land zu Land auffällig unterschiedlich: zwischen 1-25% Abbrüche innerhalb des ersten Jahres. Andere Studien zeigen, dass MedizinerInnen eine frühzeitige Entfernung von Norplant zumindest bei der ersten Nachfrage in der Regel ablehnen. Die Implantate verbleiben bei den meisten Anwenderinnen auch dann noch im Arm, wenn sie dies überhaupt nicht mehr »akzeptabel« finden.

Norplant gilt den BefürworterInnen als geeignetes Mittel für zwangsweise Verabreichung von Schwangerschaftsverhütung. Drastisch verdeutlichen dies so genannte »Norplant- Safaris« in Indonesien, wo Frauen bei vorgehaltener Waffe in Lastwagen zur Klinik gebracht wurden. Solchen gesellschaftlichen Umständen sprechen die Akzeptanzstudien Hohn.

© Bettina Bock von Wülfingen, 2000
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