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THOMAS EHLERS

Test the Rest

  • Unter Ausschluss der Öffentlichkeit drohen DNA-Analysen im Strafvollzug zur Routine zu werden

aus: BIOSKOP Nr. 14, Juni 2001, Seiten 9+10

Der »genetische Fingerabdruck« hat Konjunktur – allem voran im gezielten Zugriff auf »Straftäter«. Testverfahren werden deutlich billiger, Analysekapazitäten stetig ausgebaut. Und die Diskussion um die Einbeziehung weiterer Tätergruppen in die Testung nimmt schärfere Formen an.

Eingeführt und ausgeweitet wird die Anwendung des DNA-Tests hierzulande zwar mit dem Verweis auf seinen Nutzen bei der Aufklärung von Sexualdelikten, aber die Erfahrungen in anderen Staaten zeigen, dass der Test hauptsächlich Fahndungserfolge bei alltäglichen Eigentumsdelikten zur Folge hatte: Hühnerdiebe haben nichts mehr zu lachen.

Aus diesen Erfahrungen wird verständlich, weshalb die Kriminalpolitik nun auf die möglichst lückenlose Testung der gesamten Gefangenenpopulation abzielt und inzwischen auch alle jemals straffällig gewordenen BürgerInnen ins Visier nimmt: Rund 60.000 Menschen sitzen derzeit in der Bundesrepublik ein. Fast 900.000 »Altfälle« wurden irgendwann einmal verurteilt und finden immer öfter die Aufforderung im Briefkasten, sich zum Test zu melden. Das diesbezügliche Prozedere scheint auf den ersten Blick maßvoll und rechtsstaatlich einwandfrei: Wenn die zuständige Staatsanwaltschaft nach genauer Prüfung eines konkreten Einzelfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Begehung zukünftiger Straftaten ausmacht, beantragt sie die Testung. Diese Prognose wird anschließend von einem Richter kritisch geprüft, wobei auch der/die zu Testende Stellung nehmen kann. Der Test darf nur dann ausgeführt werden, wenn das Gericht ihn per Beschluss anordnet.

Diesen hellseherischen Prognosen schließen sich die ebenfalls standardisierten Beschlüsse der Amtsgerichte wortgleich an.

Aus Bundesländern, die sich an dieses Verfahren halten, werden deswegen auch nur wenige Testergebnisse an die zentrale Bundeskriminalamt-Datei nach Wiesbaden übermittelt. Diese Länder geraten jedoch immer mehr unter Rechtfertigungsdruck, seitdem sich vor allem in Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen die Praxis durchgesetzt hat, dass die Staatsanwaltschaften massenhaft Standardvordrucke verwenden, die jedem Delinquenten prinzipiell attestieren, »dass gegen ihn künftig neue Strafverfahren wegen schwerer Delikte zu führen sind«. Diesen hellseherischen Prognosen schließen sich die ebenfalls standardisierten Beschlüsse der Amtsgerichte wortgleich an – wobei sie den Test sogar als Akt der Fürsorge ausgeben! In textidentischen Beschlüssen der Amtsgerichte Trier und Diez heißt es zum Beispiel: »Zudem liegt die DNA-Identifizierung auch im Interesse des Betroffenen. Sie ermöglicht es, Personen bereits in der Ermittlungsphase nach einer entsprechenden Straftat zu einem frühen Zeitpunkt als Verdächtige auszuschließen. Dies verhindert gegebenenfalls strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (z.B. vorläufige Festnahme etc.).«

Trotz zweier jüngerer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die versuchten, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allen staatlichen Handelns Geltung zu verschaffen, ist nicht nur eine Beibehaltung dieser zweifelhaften Praxis zu beobachten. Vielmehr steht auch eine Abschaffung des Richtervorbehaltes zur Entscheidung an: »Im Februar brachte der Bundesrat – quasi nebenbei – eine Gesetzesinitiative auf den Weg, wonach bald auch Staatsanwälte und deren Hilfsbeamte den Test anordnen dürfen.« (Zitat aus Der Spiegel, 12/2000, S. 35) Strafgefangene, die die schablonenhafte Vorgehensweise staatlicher Organe gerichtlich überprüfen lassen wollten, wurden noch während ihrer laufenden Verfahren zwangsgetestet, ihnen wurde eine Blutprobe »unter Androhung von unmittelbarem Zwang« entnommen.

Der Gentest ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit als »Wunderwaffe« gegen Kriminalität fest verankert, und so wird jedes spektakuläre Verbrechen mit Sicherheit dazu benutzt werden, die Test-Klientel zu vergrößern.

Diese Durchsetzung mit der Brechstange funktionierte. Die Gen-Datei des Bundeskriminalamts hat die kritische Größe erreicht, um als Institution die normative Macht des Faktischen gegen Bedenkenträger ausspielen zu können. Der Gentest ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit als »Wunderwaffe« gegen Kriminalität fest verankert, und so wird jedes spektakuläre Verbrechen mit Sicherheit dazu benutzt werden, die Test-Klientel zu vergrößern. Dass diese neue Spielwiese für bio-technologischen Machbarkeitswahn katastrophale gesellschaftliche Nebenwirkungen hat, wird völlig ausgeblendet: Zum einen markiert sie den Grabstein auf dem Resozialisierungsprinzip, indem sie eine neue Kategorie von irreversibel Stigmatisierten erschafft. Zum anderen konstituiert sie eine neue Dimension der Bio-Politik: den Weg zu immer neuen Kasten von Parias, die durch genetische Etikettierungen von der Norm-Bevölkerung unterschieden und als unnormalisierbar ausgegrenzt werden dürfen (!). Während pränatale Testmöglichkeiten den »Behinderten« zum (vermeidbaren) Schadensfall zu reduzieren drohen, wird der Straffällige per Test definitiv als »Schädling« objektiviert und markiert.

Dies ist mitnichten eine Zukunftsvision. Schon heute machen sich die Folge-Effekte real bemerkbar: Die zur Ermöglichung der Massentests von den Staatsanwaltschaften erstellten Negativ-Prognosen wirken sich unmittelbar auf die Zahl der vorzeitigen Haftentlassungen aus, da eine zur vorzeitigen Haftentlassung erforderliche positive Kriminalprognose nur mehr möglich würde, wenn sich die Staatsanwaltschaften selber widersprechen. Als Folge nimmt die katastrophale Überbelegung in deutschen Haftanstalten trotz der massiven Neubautätigkeit (und trotz sinkender Kriminalitätszahlen) weiter zu, und die immer länger einsitzenden Delinquenten werden immer schlechter auf ein Leben in Freiheit vorbereitet entlassen. So schreibt der »genetische Fingerabdruck« das fest, was zum Verschwinden gebracht werden sollte, fördert, was er zu bekämpfen vorgibt und setzt in letzter Konsequenz die finstere Tradition sozialer Stigmatisierungen fort – mit allen Folgen für die Menschlichkeit, der eine Gesellschaft dann noch fähig ist.

…ein virtueller Rassismus mit der ganzen Scheinobjektivität der Wissenschaft und der Effektivität eines Etikettes wie »Lepra«

Gegenüber grobschlächtigen Stigmata vergangener Zeiten hat die »DNA-Identifizierung« den Vorteil, unauslöschlich und dabei scheinbar in der Biologie des Individuums verankert zu sein – und dennoch auf jede unliebsame Form von Verhalten oder Population anwendbar zu sein: ein virtueller Rassismus mit der ganzen Scheinobjektivität der Wissenschaft und der Effektivität eines Etikettes wie »Lepra«. Ach ja, bevor ich es vergesse: Der Autor dieses Artikels hat »Lepra«, und diese Zeilen entstanden in einer »Leprakolonie« – also lassen Sie sich nicht anstecken, von was auch immer…

© Thomas Ehlers, 2001
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