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Armut und Hospizversorgung

ALPHA nennt sich ein Verein, der in Nordrhein-Westfalen als »Ansprechstelle« zur Hospizarbeit und Palliativversorgung gegründet wurde und auch Begleitung von Angehörigen schwer kranker Menschen anbietet. Mit dem »Thema Armut«, weiß ALPHA, werden heutzutage auch hospizliche und palliative Einrichtungen »immer stärker konfrontiert«; Untersuchungen dazu gibt es bisher aber nicht. ALPHA hat sich deshalb in Hospiz- und Palliativeinrichtungen umgehört und Erfahrungen wie Einschätzungen zusammengetragen. Die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen stehen in der Publikation Die Bedeutung von Armut in der Hospiz- und Palliativversorgung, die man gratis bekommen kann bei: ALPHA-NRW in Münster, Telefon (0251) 230848.

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INGE KUNZ, Sozialpädagogin, Vorsitzende der Hospizvereinigung OMEGA – Mit dem Sterben leben und ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Unbenannte Sterbegeschichten

  • Über sozialpolitische Wirklichkeiten am Lebensende wird kaum geredet – zum »guten Sterben« passen sie oft nicht

aus: BIOSKOP Nr. 53, März 2011, Seite 5

Wenn von Sterbebegleitung die Rede ist, wird über finanzielle und sozialpolitische Bedingungen meistens nicht geredet. Es dominiert die Vorstellung vom »guten Sterben«: mit hospizlichem Beistand, möglichst zu Hause im Kreise einer intakten Familie und Gesprächen über die letzten Dinge. Die sozialen Wirklichkeiten sehen oft anders aus.

Der 10-jährige Maik hatte ein Neuroblastom, ein Tumor der Nervenenden. Nach 26 Monaten intensivster Behandlungen ist er im Krankenhaus gestorben. Das war kurz nach seinem letzten Geburtstag, an dem er sich neue Schuhe gewünscht hatte – obwohl er gar nicht mehr laufen konnte. Maik starb nicht zu Hause und auch nicht leicht.

Seine Eltern bekamen Sozialhilfe. Die Hospizbegleiterin hat mit dem Sozialamt verhandelt, damit die Fahrtkosten der Mutter zum Klinikum übernommen werden. Denn das ist keineswegs selbstverständlich, sondern tatsächlich Verhandlungssache. Der Hospizdienst hat dann einen täglichen Fahrdienst organisiert und auf die Spritkosten verzichtet. So konnten der verwaschene Jogginganzug von Maik und die erheblichen Telefonkosten für Maiks Telefonate aus dem Klinikum nach Hause ersetzt werden. Am Tag der Beerdigung kam der Bescheid, dass die beantragte Pflegestufe bewilligt sei. Das Geld war schon vorher auf dem Konto, nun wollte die Pflegekasse es zurück haben. Die Hospizbegleiterin hat das verhindert – und auch geholfen, Maiks nicht gebrauchte Schuhe zurückzutauschen.

Bei so einer Diagnose hat man andere als finanzielle Sorgen.

Oder Marie. Sie ist die ältere von zwei Töchtern einer alleinerziehenden Mutter. Marie erkrankte als 16-Jährige an einem Hirntumor. Mit Eintritt der Volljährigkeit waren die Sozialhilfebezüge gekürzt und neue Anträge für Wohngeld fällig geworden. Bei so einer Diagnose hat man andere als finanzielle Sorgen. Die Hospizbegleiterin unterstützte die Mutter bei den Gesprächen mit der Behörde, Ergebnis: leider keine »Ermessensspielräume«. Mögliche überbrückende Spenden duften lediglich zweckgebunden gegeben werden.

Maries Mutter hat so genannte, ergänzende Arbeiten ab 6 Uhr morgens übernommen, um am Tag für die Kinder da zu sein. Eine Auseinandersetzung mit den Behörden hat sie nicht gewagt. Ihre Fahrtkosten für die Klinikbesuche wurden nicht übernommen. Der Hospizdienst hat Geld gesammelt: für Fahrkarten, für Maries neue Perücke, für ergänzende Therapien, die nicht von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden, aber das Kranksein erleichtern können. Zwischenzeitlich ging es Marie wieder gut. Das Sozialamt war dann der Meinung, sie solle arbeiten gehen oder eine Ausbildung beginnen. Da sie später gestorben ist als erwartet, haben viele Menschen im sozialen Umfeld an die Schwere der Erkrankung nicht geglaubt und die Isolation der kleinen Familie vergrößert.

Der Hospizdienst stand beratend zur Seite. Nun ist die Pflegestufe 1 bewilligt; die 225 Euro reichen gerade, um die Haushaltshilfe zu bezahlen.

Frau G. ist 40 Jahre alt und an einem Tumor des Rippenfells erkrankt. Ihr Mann ist Metallarbeiter. Beide haben für sich und ihre drei Kinder, die 3, 10 und 13 Jahre alt sind, ein kleines Haus gebaut. Die finanziellen Verhältnisse der Familie mit Migrationshintergrund sind angespannt. Ein Familienauto wurde inzwischen abgeschafft. Während der Chemotherapie bekam Frau G. zunächst eine Haushaltshilfe gewährt, für drei Monate. Für eine erneute Chemobehandlung lehnte die Krankenkasse es ab, diese Leistung erneut zu bezahlen – Begründung: Frau G. brauche jetzt eine Pflegestufe.

Der Hospizdienst stand beratend zur Seite. Nun ist die Pflegestufe 1 bewilligt; die 225 Euro reichen gerade, um die Haushaltshilfe zu bezahlen. Einfach war es auch nicht, die Über-Mittag-Betreuung der zwei älteren Kinder finanziert zu bekommen. Das Jugendamt war der Meinung, dass der Ehemann zu viel verdiene und es keine Möglichkeit der Zahlung bzw. ergänzenden Zahlung gäbe.

Zum neuen Schuljahr wurde die Übernahme der insgesamt 260 Euro aus den Fördervereinen der Schule und des Kindergartens ermöglicht. Die Taxikosten für die wöchentlichen Fahrten zur Arztpraxis haben das Budget der Familie gesprengt. Inzwischen hat die Sozialpädagogische Familienhilfe einen Fahrdienst organisiert. Aufgrund unerträglicher Schmerzen und auch, um sich und die Kinder zu entlasten, wünschte Frau G. die Einweisung ins Krankenhaus. Selbst dieser Schritt war nur mit tatkräftiger Unterstützung durch den Hospizdienst möglich.

© Inge Kunz / Erika Feyerabend, 2011
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