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MICHAEL WUNDER, Dipl.-Psychologe, Leiter des Beratungszentrums der Ev. Stiftung Alsterdorf, Mitglied des Deutschen Ethikrates

Etappenziel der Euthanasiebefürworter

  • Beihilfe zum Suizid auf der Agenda der Bundesärztekammer

aus: BIOSKOP Nr. 51, September 2010, Seiten 14+15

Experten diskutieren seit Jahren, ob ärztliche Beihilfe zum Suizid nicht nur in bestimmten Fällen ethisch gerechtfertigt, sondern sogar »angemessen« sei. So zum Beispiel die Rechtswissenschaftler Schöch und Verrel auf dem Deutschen Juristentag 2006 und jüngst der Unfallarzt Michael de Ridder im _Spiegel_-Interview »Was ist so schlimm am Sterben?« vom 22. März 2010. Gefordert wird die Kehrtwendung im ärztlichen Berufsrecht – vom faktischen Verbot hin zu einer Empfehlung.

Ganz in diesem Tenor forderte dann auch der Medizinrechtler Taupitz, dass die Ärzte die Aufgabe der Suizidbeihilfe zugewiesen bekommen sollten. Dieser Berufsstand sei auf das Leben ausgerichtet und aufgerufen, Menschen in einer schwierigen Situation beizustehen – auch, wenn sie aus dem Leben scheiden wollen. Zudem sei es der einzige Berufsstand, der ausreichend Fachkunde über entsprechende Arzneien besitze.

Veranlasst durch solche Stimmen und Medienberichte, dass viele Mediziner einer Suizidbeihilferegelung zustimmen würden, gab die Bundesärztekammer (BÄK) bei Allensbach eine Umfrage in Auftrag. Die wichtigsten Ergebnisse: 61 % der befragten Ärzte lehnten eine Unterstützung beim Suizid in jedem Fall ab, 37 % aber erklärten unter bestimmten Bedingungen ihre Bereitschaft. Eine Regelung der ärztlich begleiteten Selbsttötung wurde von 62 % der befragten Ärzte abgelehnt, 30 % sprachen sich dafür aus, 8 % waren unentschieden.

Die Anerkennung der ärztlichen Suizidbeihilfe wird trotz dieser Zahlen von den Präsidenten der BÄK, Hoppe und Montgomery, als unvereinbar mit dem ärztlichen Selbstverständnis abgelehnt. Man kann beiden nur zustimmen. Zu fragen bleibt aber: Wird diese Haltung stabil bleiben?

  • Assistenz und Verantwortung

Befürworter der Suizidbeihilfe argumentieren oft, dass das Berufsrecht nicht etwas sanktionieren könne, was das Strafrecht zulasse. Der rechtliche Grundsatz, wenn die Tat straffrei ist, kann die Beihilfe dazu nicht strafbar sein, sei juristisch eine klare Linie. Wenn die Tatherrschaft beim Suizidenten liegt, dann erbringt der Assistent juristisch nur eine straffreie, tatermöglichende Unterstützungsleistung. Die berufsrechtliche Missbilligung ärztlicher Suizidbeihilfe stützt sich aber mit gutem Grund auf die nachträgliche Rettungsverpflichtung der Garanten nach Paragraph 13 des Strafgesetzbuches.

Ethisch beginnen bei einer Aushebelung dieser Vorschrift die Probleme des ärztlichen – oder auch pflegerischen – Assistenten. Er hat aufgrund seines Fachwissens und seiner Rolle eine persönliche Verantwortung. Er ist kein reiner Serviceerbringer. Er kann zwar den abstrakten Standpunkt beanspruchen, nur die freie Entscheidung des Suizidenten zu ermöglichen, er nimmt dabei aber stets eine Bewertung vor. Auch Schöch und Verrel sprechen von unverzichtbaren Bewertungskriterien, nämlich der »Freiverantwortlichkeit« und der »Ernsthaftigkeit«. Sie belegen damit unfreiwillig das Ende der reinen Assistenz, weil der Assistent diese Kriterien einschätzen muss und dabei auch die Risiken der Fehlbeurteilung auf sich nimmt.

Der Assistent muss aber meist noch ein ganzes Stück weitergehen: Er übernimmt auch Verantwortung für den Rahmen, er konstruiert die Situation, er übersieht dabei möglicherweise etwas, zum Beispiel, dass nicht alle Alternativen ausreichend beachtet wurden. Was ist reine Beihilfe, was eigene Verantwortung und was aktives Hinzutun? Kann der Arzt oder Pflegende den Heilauftrag und den unbedingten Auftrag der Lebenserhaltung mit dem gleichzeitigen Auftrag, unter bestimmten Bedingungen den Tod zu ermöglichen, ohne bleibende Mentalitätsveränderung kombinieren?

  • Freigabe als Ende der Debatte?

Berichte von Aussteigern aus der Schweizer Organisation Dignitas legen ein beredtes Zeugnis der Gewissenskonflikte der Helfer ab, auch darüber, dass die Praxis prägend ist und Suizidanwärter oft nicht ergebnisoffen beraten werden.

Die SAMW, die Schweizer Akademie der medizinischen Wissenschaften, hatte 2003 aufgrund des Drucks der öffentlichen Debatte ihre Ächtung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid aufgegeben und für die beteiligten Mediziner die Mindestkriterien der Todesnähe, der Urteilsfähigkeit des Patienten und der Erörterung der Alternativen eingeführt. Was als Ruhe bringendes Zugeständnis gedacht war, entpuppte sich aber nur als der Anfang einer Entwicklung. Die Reaktion der sogenannten Laienorganisationen Exit und Dignitas ließ nicht lange auf sich warten: Die Regelung widerspreche dem Autonomieanspruch der Betroffenen und sei eine unzulässige Freiheitseingrenzung.

Gegen den daraufhin erhobenen Vorwurf der Willkür und der reinen Bedienungsmentalität versuchen sich Exit und Dignitas seither durch eine Art Motivklärung der Suizidenten zu schützen. Sie erkennen aber offensichtlich neben schwerer Erkrankung und körperlichen Leiden auch Sinnverlusterleben, Angst vor Abhängigkeit, Einbuße von Selbstwertgefühl und unwürdige soziale Situationen als ausreichend an.

2005 hat die Nationale Ethikkommission Sorgfaltskriterien vorgelegt, die bislang allerdings nur Empfehlungscharakter haben:

- Urteilsfähigkeit des Betroffenen

- Krankheitsbedingtes schweres Leiden (einschließlich der Folgen von Unfall oder Behinderung)

- Ausschluss psychischer Erkrankung

- Freiheit von äußerem Druck

- Prüfung und Erörterung aller Alternativen

- Mehrfachkontakte vor der Assistenzerbringung

- Ärztliche Zweitmeinung

- Dokumentation

Diese Mischung aus Indikationseinschränkung und qualitätssichernder Durchführungsbestimmungen, bei der ins Auge fällt, dass Aussagen zu Minderjährigen und zu Menschen mit Demenz bislang fehlen, rückt das Schweizer Modell in die Nähe der niederländischen Lösung.

Wie in der Debatte um Legalisierung der Euthanasie stellen sich Fragen: Kann ein solcher Katalog eine stabile Grenze gegen Ausweitungen darstellen? Wo überhaupt sollen die Grenzen sein? Was wäre mit dem chronisch Depressiven, der erkennbar ernsthaft um die Suizidbeihilfe bittet? Was wäre mit dem Suchtkranken? Was wäre mit dem Demenzerkrankten, der in der ersten Phase seiner Erkrankung angesichts seiner Perspektive um Suizidbeihilfe bittet?

  • Begrenzung auf Fallgruppen?

Depression, Sucht und Demenz sind anerkannte Krankheiten. Wäre nicht absehbar, dass die Begrenzung auf bestimmte Fallgruppen nach und nach aufgegeben würde? Interessant in diesem Zusammenhang: Exit hat an diesem Kriterienkatalog insbesondere die Einschränkung auf schwere krankheitsbedingte Leiden kritisiert. Man wolle eben nicht nur Sterbehilfe praktizieren, sondern Freitodhilfe.

Ein Ende der Debatte ist nicht abzusehen, ebensowenig die praktischen Ausweitungen. So hat eine Untersuchung von Georg Bosshard und anderen zumindest für den Grossraum Zürich ergeben, dass der Anteil der nicht tödlich Erkrankten an den assistierten Suizidfällen von 2001 bis 2004 auf 34 % gestiegen ist. Zu fragen ist demnach auch, ob und wie eine Erleichterung der Suizidbeihilfe und eine damit verbundenen »Normalisierung« labile oder insbesondere alte Personen beeinflusst.

  • Fließende Übergänge

Die Übergänge von der Suizidassistenz zur aktiven Sterbehilfe sind fließend. Das zeigen Fälle, in denen nach plötzlich eintretender Angst die Medikamente unvollständig eingenommen werden oder Präparate aufgrund von Fehldosierung oder unberücksichtigter körperlicher Besonderheiten nicht ausreichend wirken. Hilft der Suizidassistent nach, handelt er eindeutig im Bereich der aktiven Sterbehilfe. Aus dem Assistenten wird der Aktivist. Aktiviert er den Rettungseinsatz, handelt er sicher nicht im Interesse des Betroffenen und produziert außerdem neue, schwierige ethische Fragestellungen, sofern der Patient beispielsweise mit starken Schädigungen überleben sollte.

Wie soll der Suizidassistent sich in solchen Fällen verhalten? Wie soll bei gelähmten Menschen vorgegangen werden? Ist ein am Ellenbogen unterstützter Arm noch in der Tatherrschaft des Patienten, oder ist dies bereits eine aktive Tötungshandlung des Unterstützers? Und wie soll der Assistent reagieren, wenn der Betroffene um mehr bittet, weil er den allerletzten Schritt nicht alleine schafft?

  • Öffentliche Dynamik

Die Problematik der aktuellen Diskussion besteht in der öffentlichen Dynamik. Schöch und Verrel, Kusch, Taupitz, de Ridder – die Vorstöße mehren sich. Die Euthanasiebefürworter treiben die Politik vor sich her. Der erste Fall eines Outings »Ich habe Suizidbeihilfe geleistet« wird eine Lawine auslösen. Weil die Befürworter dies wissen, werden sie es darauf anlegen. Die veröffentlichte Meinung wird vermutlich in Richtung Liberalisierung gehen. Und die Euthanasie befürwortenden Gruppierungen wie DGHS und Humanistischer Verband werden die Diskussion um die Suizidbeihilfe weiterhin als Sprungbrett für ihr Kernziel nutzen: die Legalisierung aktiver Sterbehilfe.

Eine erwägenswerte Handlungsalternative der Ärztekammern wäre, ihre bisherige Praxis, die Approbationen nach vollzogener Suizidassistenz nicht abzuerkennen, noch einmal deutlich zu betonen. Sie kämen damit den Effekten eines Outings zuvor. Missbilligt, aber sanktionsfrei, wäre damit die Leitlinie, die den Gefahren der Ausweitungen und des Mentalitätswechsels entgegenträte, den Druck aber vom einzelnen nehmen würde, der ja durchaus in eine Situation kommen kann, die im Grunde nicht regulierbar ist.

© Michael Wunder, 2010
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