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Kolportage

»Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) kolportiert in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, dass sich nur ca. 40 % der Krankenhäuser an der Organspende beteiligen würden. Allerdings, das wurde auch schon angesprochen, ist weder der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) noch der DSO die Gesamtheit der potenziellen Organspender auf den Intensivstationen in Deutschland bekannt. Das heißt, weder die DSO noch die DKG können wissen, wie viele Krankenhäuser sich tatsächlich an der Organspende beteiligen.«

Klarstellung von Renate Höchstetter, Referentin bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Höchstetter äußerte sich am 14. März 2005 als Sachverständige bei der Öffentlichen Anhörung »Organisation der postmortalen Organspende in Deutschland«. Eingeladen hatte die Medizinethik-Enquetekommission des Bundestages.


  • Transplantationsmedizin
  • Gerechtigkeit?
  • Schenkt Organspende »Leben«?
  • Nicht wirklich beruhigend
  • Weiter ohne wirksame Kontrolle
  • Verschwiegene Manipulationen
  • Notfall Organspende?
  • Ignorierte Tatsachen
  • Hirntodkriterium verfassungswidrig?
  • Sein wie Superman
  • Leben Hirntote noch?
  • »Organspende« nach Euthanasie
  • Transplantationsrecht: Kompliziert gesponnenes Netz
  • (K)ein Markt für Leichenteile
  • Ansprüche und Wirklichkeit
  • Offenbarungseid der Spendekommissionen
  • Sehr diskrete Selbstkontrolle
  • Merkwürdige Mängel
  • Denkwürdige Transplantationszahlen
  • Streit um »Hirntod«-Diagnostik
  • »Leben schenken«
  • Staatlich organisierter Organkauf
  • »Organspender bleiben hier final«
  • Transplantation und Gewissen
  • »Organspende«-Tests bei Lebenden?

  • Organentnahme ohne Einwilligung
  • »Ich schenke dir meine Niere« - BILD war dabei
  • »Cross-Over«-Transplantationen
  • Wachstumsorientierte Aufklärung
  • Schwerwiegende Komplikationen
  • Durchlässige Körper
  • Exklusive Mail von der DSO
  • Masterplan der DSO?
  • Organpolitik anders befragt - ein Tagungsbericht


  • MARTINA KELLER, Journalistin

    »Organspende«-Tests bei Lebenden?

    • Eine Arbeitsgruppe bei der Bundesärztekammer denkt darüber nach, wie Kliniken mehr Körperteile beschaffen können

    aus: BIOSKOP Nr. 32, Dezember 2005, Seiten 4+5

    Die Zahl der Organentnahmen ist rückläufig: 2004 wurden laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) 1.081 »Hirntoten« 3.508 Körperteile heraus operiert; 2003 waren noch 1.140 Menschen explantiert worden. Wie Kliniken mehr Körperstücke beschaffen können, überlegt zurzeit eine Arbeitsgruppe bei der Bundesärztekammer. Eine Idee: Noch bevor der »Hirntod« diagnostiziert worden ist, soll das Blut eines potentiellen Organgebers untersucht werden – um zu ermitteln, ob seine Körperteile transplantabel sind. Derweil bezweifeln Praktiker, dass die »Hirntod«-Feststellung stets verlässlich erfolgt.

    Der Entwurf einer Bundesärztekammer-Richtlinie »zur Unterrichtungspflicht über potentielle Organspender« ist unter Federführung des DSO-Chefs Günter Kirste entstanden. »Während der Spenderbetreuung«, heißt es in dem Papier, »können Untersuchungen hinsichtlich der Übertragung von infektiösen Erkrankungen sowie der Gewebetypisierung eingeleitet werden.«

    Im Klartext bedeutet das: Noch bevor ein Unfallopfer richtig tot ist – so wie Mediziner den Tod definieren – könnte man daran gehen, ihn auf seine Eignung als Organspender zu prüfen. Die Passage zielt darauf, möglichen Organempfängern mehr Sicherheit zu garantieren. Zum Beispiel könnte man ihr Blut mit einer aufwändigen molekularbiologischen Methode auf den Hepatitis-C-Virus testen. Bislang wird es lediglich mit einem weniger sicheren Schnelltest auf Antikörper untersucht. Ein Restrisiko bleibt bei der Transplantation. Im Frühjahr waren mehrere Körperstücke übertragen worden, die mit dem seltenen Tollwutvirus infiziert waren. Drei Organempfänger starben.

    Der Richtlinien-Entwurf ist dazu angetan, Ängste zu verstärken.

    Die schwerstgeschädigten Patienten auf den Intensivstationen haben von zusätzlichen Tests nichts, im Gegenteil: »Sofern der Hirntod nicht feststeht, halte ich eine Blutentnahme zum Zweck der Organspende schlicht für gesetzeswidrig, sofern keine Einwilligung vorliegt«, sagt der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz, »dem potentiellen Organspender wird eine rechtswidrige Körperverletzung zugefügt.« Zudem muss der Patient, falls er sich erholt, womöglich ungewollt mit dem Wissen um eine schwere Infektion weiterleben.

    Ablehnend äußert sich auch der Vorsitzende der Transplantationskommission bei der Bundesärztekammer, Hans-Ludwig Schreiber. Der Strafrechtler, der seit Jahren für die juristische Erleichterung von Lebendorganspenden plädiert, sagt: »Eine Untersuchung für eine mögliche Organentnahme kann man nicht machen, ehe man nicht weiß, ob der Betreffende als Organspender in Frage kommt. Bis dahin muss die Therapie im Vordergrund stehen«.

    Dass dies im Vorfeld einer Hirntoddiagnostik der Fall ist, bezweifeln viele Menschen schon jetzt. Sie fürchten, es werde nicht alles Nötige zur Rettung eines Schwerstgeschädigten getan, weil man ihn bereits als Organspender in Betracht zieht. Der Richtlinien-Entwurf ist dazu angetan, solche Ängste zu verstärken. Selbst Vertreter von Patienten, die auf ein Organ warten, haben sich deshalb zu Wort gemeldet. Erich Stienen von der Initiative Pro Organspende wandte sich per Brief an den Transplanteur Axel Haverich, Stiftungsratsvorsitzender der DSO. Stienen sieht das jahrelange Vertrauenwerben und die Aufklärungsarbeit der Selbsthilfegruppen gefährdet: »Lebende als Todeskandidaten und damit als Organspender anzusehen, lehnen wir entschieden ab.«

    »Ob und wie dann solche Untersuchungen juristisch umsetzbar und durchführbar sind, ist in einem zweiten Schritt zu klären.«

    Das kritische Feedback beeindruckt DSO-Chef Kirste wenig. Zwar versichert er auf Anfrage, die umstrittene Passage werde »so nicht verabschiedet, aus medizinischen und rechtlichen Gründen«. Andererseits teilte er den Geschäftsführenden Ärzten, Bereichsleitern und Koordinatoren der DSO in einem Brief mit: »Es muss in einer solchen Arbeitsgruppe möglich sein, alle Fragen, auch die zur Virusuntersuchung … im Hinblick auf die Erhaltung des Empfängerschutzes zu diskutieren.« So könne es medizinisch sinnvoll sein, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mit den zeitintensiven Untersuchungen viraler Erkrankungen zu beginnen. »Ob und wie dann solche Untersuchungen juristisch umsetzbar und durchführbar sind, ist in einem zweiten Schritt zu klären.«

    Die Geschäftsführenden Ärzte der sieben DSO-Regionen lehnen vorgezogene Tests einmütig ab, so Claus Wesslau von der DSO Region Nord-Ost in Berlin: »Wir haben das Thema mit dem Vorstand diskutiert. Ohne abgeschlossene Hirntoddiagnostik machen wir keine zusätzlichen Tests.«

    Ärger hat Kirste im eigenen Haus auch wegen der Finanzierung der so genannten mobilen Einsatzteams. Diese Teams wurden vor acht Jahren zunächst in der DSO-Region Nord, später auch in der Region Mitte eingerichtet, um die Hirntoddiagnostik in ländlichen Regionen sicherzustellen. Die Mitarbeiter der mobilen Einsatzteams sind in der Hirntoddiagnostik speziell geschult und können angefordert werden, wenn bei einem Patienten der Hirntod festgestellt werden soll. Vor allem kleinere Krankenhäuser haben oft nicht genügend qualifiziertes Personal für die anspruchsvolle Untersuchung und verzichten im Zweifel darauf, einen potentiellen Organspender zu melden. Wie schwierig eine korrekte Diagnostik ist, zeigt die Tatsache, dass selbst große Zentralkliniken die mobilen Teams der DSO anfordern.

    »Das ist das Prinzip der Kopfprämie.«

    Bislang bekamen die Teams Rufbereitschaft und Einsätze honoriert. Künftig will die DSO die Bezahlung bundeseinheitlich regeln und nur noch die Einsätze selbst honorieren. Die Vergütung der mobilen Konsiliarteams würde auf etwa ein Drittel sinken. »Damit steht die Finanzierung dieser Teams auf der Kippe«, sagt Hermann Deutschmann, Neurologe am Klinikum Hannover Nordstadt und Sprecher eines Konsiliarteams. Die DSO spart nach seiner Meinung an der falschen Stelle. Während einerseits die Rufbereitschaft nicht mehr honoriert werden soll, werden interne Einsätze während der regulären Dienstzeit künftig fürstlich entlohnt, mit 300 Euro an Werktagen beziehungsweise 460 Euro an Sonn- und Feiertagen: »Das ist das Prinzip der Kopfprämie«, sagt Deutschmann, »dem Dienst habenden Arzt wird ein Anreiz geboten, die Hirntoddiagnostik durchzuführen.«

    In einem Leserbrief an das Niedersächsische Ärzteblatt weist DSO-Chef Kirste die Kritik zurück. Das neue Finanzierungsmodell habe sich in anderen Regionen bewährt, die geringe Einsatzfrequenz der mobilen Konsiliarteams rechtfertige keine Rufbereitschaft. Überdies sei die »hohe Qualität der Hirntoddiagnostik, unabhängig von der Vergütung, durch die Richtlinien der Bundesärztekammer sichergestellt«.

    Eben dies bezweifelt Lothar Sause, Vorsitzender des Regionalen Fachbeirats der DSO-Koordinierungsstelle Nord. So führe die »mangelnde Erfahrung klinikinterner Mitarbeiter bei diesem Verfahren eben nicht immer zu einwandfreien Ergebnissen«. 2004 etwa konnte das für Niedersachsen und Bremen zuständige Konsiliarteam bei 52 Untersuchungen mindestens 20-mal den Hirntod nicht feststellen, obwohl dieser von den behandelnden Intensivmedizinern vermutet worden war. Der Wegfall der Teams, so Sause, sei »ein nicht hinnehmbarer Qualitätsverlust«.

    2003 wurden die Konsiliarteams in der Region Nord 66-mal angefordert. Falls die neue Regelung kommt, wollen die meisten der 20 betroffenen Ärzte und der 15 Medizinisch-Technischen Assistentinnen nicht länger in den Teams mitwirken.

    © Martina Keller, 2005
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