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LINDE PETERS, Biochemikerin mit Homepage zur Gentechnikkritik

Das Sicherste ist der Preis

  • Versprechen, Anwendungen, Effekte und Risiken gentechnisch hergestellter Wachstumshormone

aus: BIOSKOP Nr. 23, September 2003, Seiten 8+9

Menschliches Wachstumshormon ist ein Eiweiß. Es gehört somit zu den Substanzen, die mittels Gentechnik erstmals synthetisch hergestellt werden konnten. An die Möglichkeit, Eiweiße zu synthetisieren, hatte man anfangs immense medizinische Hoffnungen geknüpft: Alle Krankheiten, die durch den Ausfall eines Eiweißes bedingt sind, sollten nun erstmals ursächlich behandelt werden können. Die Realität sieht allerdings meist komplexer aus als gedacht.

Gentechnisch hergestelltes menschliches Wachstumshormon gibt es seit 1985. Es war ursprünglich zur Therapie für diejenigen unter den als kleinwüchsig geltenden Menschen gedacht, die zu wenig von diesem Hormon produzieren. Da die Zahl dieser PatientInnen ziemlich klein ist, wurde das Wachstumshormon in den USA in ein staatliches Förderprogramm aufgenommen, welches für die Entwicklung selten gebrauchter Medikamente finanzielle Erleichterungen gewährt.

Bald wurden weitere Einsatzmöglichkeiten für das Hormon in Aussicht gestellt: für Kinder, die um ein bestimmtes Maß kleiner sind als ihre Altersgenossen, ohne dass bei ihnen ein Hormonmangel besteht; als »Verjüngungsmittel« für ältere Menschen sowie zum Dopen für SportlerInnen.

Das Verabreichen einer Substanz an Menschen, denen es daran nicht mangelt, bedeutet immer, dass sie dann überhöhte Mengen davon haben. Jede derartige Veränderung kann Nebenwirkungen hervorrufen. Deshalb und um den Grad der Wirksamkeit herauszufinden, wurden eine ganze Reihe von Studien durchgeführt. Dafür wurden Kinder ausgesucht, bei denen die zu erwartende Größe im Erwachsenenalter bei Mädchen nicht über 1,45 Meter liegt und bei Jungen nicht über 1,60 Meter. Die voraussichtliche Größe lässt sich aus dem Verknöcherungsgrad von Gelenken aus Röntgen-Aufnahmen ablesen. Interessant ist aber die Wahl der Grenzwerte. In medizinischen Nachschlagewerken werden sie mit 1,40 m bzw. 1,50 m angegeben. Also wird offenbar bereits auf dieser Ebene eine Vergrößerung der Gesamtzahl und damit ein größerer Markt angestrebt.

Die Ergebnisse dieser Studien ergeben kein einheitliches Bild. Manche melden eine Wachstumsbeschleunigung durch das Hormon um mehrere Zentimeter pro Jahr, manche nur geringe Effekte oder gar keine. Der Knackpunkt könnte der Zeitraum sein, über den die Versuche durchgeführt wurden. Manche liefen nur über sechs Monate bis zwei Jahre, andere über vier bis zehn Jahre. Aus einer Studie, die neun Jahre lang dauerte, geht hervor, dass die Körpergröße verglichen mit nicht behandelten Kindern vier Jahre lang zunahm und danach im Vergleich zu ihnen aber wieder zurückfiel, so dass am Ende nur ein Gesamteffekt von 2,5 bis 2,8 cm übrig blieb. Eine Studie über zehn Jahre kommt sogar zu dem Ergebnis, dass der Endeffekt gleich Null ist. Die behandelten Kinder würden, so heißt es dort, ihre natürliche Größe nur schneller erreichen, aber nicht überschreiten.

  • Langzeitwirkungen ungewiss

In vielen Studien wird betont, dass kaum Nebenwirkungen auftreten. Andererseits wird in einer Studie, in der die im Normalfall auftretenden Konzentrationen des Wachstumshormons nicht überschritten wurden, berichtet, dass der systolische Blutdruck (oberer Blutdruckwert) ebenso angestiegen sei wie der Blutzuckerspiegel beim Fasten. Ansonsten sei mit Ödemen, Bluthochdruck, Herzvergrößerung und Gelenkschmerzen zu rechnen.

Bei stark überhöhten Konzentrationen, wie sie bei manchen Erkrankungen und bei Einsatz zu Dopingzwecken auftreten, kommt ein Krebsrisiko dazu, außerdem Verkalkung der Gelenke und bei Erwachsenen sekundäres Spitzenwachstum, wobei Hände, Füße, Nase und Lippen vergrössert werden. Einigkeit scheint darin zu herrschen, dass die Langzeitwirkungen noch nicht ausreichend geklärt sind.

Während also weder die Wirkungen noch die Langzeitwirkungen wirklich bekannt sind, scheint eines festzustehen: der Preis der Therapien. Die Kosten betragen 20.000 US-Dollar pro Jahr bei einem 30 kg schweren Kind – und das über viele Jahre (wobei die Kosten für Arztbesuche und Kontrollanalysen nicht mitgerechnet sind). Trotz des hohen Preises und obwohl die Anwendung bei gesunden Kindern nicht zugelassen ist, übernehmen die Versicherungen in den USA in gut zehn Prozent der Fälle die Kosten.

Kein Wunder, dass die Industrie darauf drängt, diesen Anteil zu erhöhen. Die Firma Genentech wurde beschuldigt, 1,1 Millionen Dollar an illegalen Zahlungen an ÄrztInnen geleistet zu haben, damit sie das Wachstumshormon der Firma häufiger verschreiben. Und ein US-Kongressabgeordneter konnte durchsetzen, dass sie die Werbung für die nicht zugelassene Verwendung ihres Produktes einstellt. Hauen und Stechen also, aber die Ausweitung des Marktes hat aus dem ursprünglichen Aschenputtel, das ohne finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln vermeintlich nicht hätte entwickelt werden können, einen Bestseller gemacht, mit 500 Millionen Dollar Umsatz im Jahr.

  • Vermeintlicher »Jungbrunnen«

Eine andere Markterweiterung für Wachstumshormone stellt ihr Einsatz als »Jungbrunnen« dar. Eine heute viel zitierte Arbeit hierüber erschien 1990 in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine. Darin wird festgestellt, dass bei einem Drittel der Männer zwischen 60 und 80 Jahren – mit besonders niedrigen Gehalten an Wachstumshormon – durch Verabreichen von synthetischem Hormon manche Werte (z.B. Dicke der Haut, Muskelmasse, Fettanteil) so verändert wurden, dass sie 10 bis 20 Jahre Jüngeren entsprachen. Dieses Ergebnis wurde in der Werbung von so genannten »Anti-Aging«-Kliniken so dargestellt, als habe eine Verjüngung um 10 bis 20 Jahre stattgefunden. Dabei wurde ausgelassen, dass dies nur einzelne Messwerte betrifft und nicht den ganzen Organismus, dass die Autoren ausdrücklich sagen, das lasse sich nicht auf die übrigen zwei Drittel der Männer und die Frauen übertragen, und dass die Autoren vor Nebenwirkungen warnen. Wegen dieser massiv irreführenden Zitierungen sah sich die Zeitschrift genötigt, diese 13 Jahre alte Arbeit im Wortlaut zusammen mit einem entsprechenden Kommentar ins Internet zu stellen.

Eine andere irreführende Argumentation dieser Interessengruppe: Die Hormonmenge im Körper nimmt mit dem Alter stark ab. Da die Hormonpräparate als Ersatz bei Hormonmangel zugelassen sind, wird die altersbedingte Abnahme als »Mangel« interpretiert und die Hormon-Anwendung zur »Verjüngung« empfohlen. Alter gilt so als behandlungsbedürftige Krankheit.

  • Auf dem schwarzen Markt

Während sich die Hormonverabreichungen an gesunde kleinwüchsige und ältere Menschen in einer gesetzlichen Grauzone bewegen – sie sind zwar nicht zugelassen, sollen aber das seelische oder körperliche Befinden verbessern, heißt es – bewegt sich die Verwendung zum Dopen voll im illegalen Bereich. Anfang der 90er Jahre wurden Wachstumshormone in amerikanischen High-Schools modern, mit dem traurigen Ergebnis, dass 34 Fälle von Hirntumoren auftraten, die damit in Zusammenhang gebracht werden. Beim Dopen wird generell stark überdosiert, so dass auch die anderen der oben genannten schweren Nebenwirkungen zu erwarten sind. Auf diesem schwarzen Markt wurden sogar die aus Leichen extrahierten Hormone angetroffen, die von 1958 bis 1985 medizinisch eingesetzt wurden und die – bei den medizinisch verwendeten geringeren Konzentrationen (!) – mit einer Gefahr von 1:200 verbunden sind, die absolut tödliche Creutzfeld-Jakob-Krankheit zu bekommen.

Das Dopen an den High-Schools hat einen sozialen Hintergrund. Die AbgängerInnen dieser Schule, die in etwa unserer Hauptschule entspricht, haben wenig Chancen, in eine weiterbildende Schule (College) aufgenommen zu werden. Aber in den USA gibt es die Besonderheit, dass gute Noten im Sport viele Türen öffnen.

  • Gesellschaftliche Fragen

Eine Behandlung hormonell unauffälliger Kinder mit Wachstumshormon ist nicht nur fragwürdig hinsichtlich der ungeklärten Wirkungen und Nebenwirkungen, sie wirft auch gesellschaftliche Fragen auf. Da Menschen verschieden groß sind, gibt es zwangsläufig Durchschnittsgrößen und Abweichungen davon. Macht man die kleinsten Menschen größer, so verändert man die Norm. Aber auch der veränderte Normbereich hat seine Ränder. Die Frage, wie eine Gesellschaft mit den Menschen in Randbereichen umgeht, lässt sich sicher nicht durch eine Veränderung der »Ränder« lösen. Bedenklich stimmen Umfragen wie eine aus dem Jahr 1993. Demnach wären 43% der US-AmerikanerInnen bereit, ihr Kind mit Hilfe von Gentechnik hübscher oder intelligenter zu machen – sofern das einmal möglich sein sollte.

© Linde Peters, 2003
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