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IGeL-Monitor

Rund 1,5 Milliarden Euro geben Krankenversicherte hierzulande für »Individuelle Gesundheitsleistungen« (IGeL) aus – also für diagnostische und therapeutische Angebote, die von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht bezahlt werden. »Bei den IGeL-Leistungen geht es vorrangig um wirtschaftliche Interessen von Ärzten und nicht um notwendige medizinische Leistungen für Kranke«, meint Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. Deshalb empfiehlt sie PatientInnen, öfters mal die Internetseite www.igel-monitor.de zu besuchen.

Dieses Portal, entwickelt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDS), informiert seit Ende Januar 2012 über »Nutzen und Schaden« gängiger Selbstzahlerleistungen. Die Bewertungen sind nach Darstellung der Portalbetreiber »wissenschaftlich fundiert«, sie basieren auf den Methoden der evidenzbasierten Medizin. Im Frühjahr 2012 hatte der »IGeL-Monitor« bereits 24 häufig angebotene IGeL öffentlich auf den Prüfstand gestellt – von der Glaukom-Früherkennung bis zur Spannungskopfschmerz-Prophylaxe. Lediglich zwei der von ihm abgecheckten IGeL hält der MDS für »tendenziell positiv«, in vier Fällen bewertet er den Schaden sogar deutlich schwerer als den Nutzen.




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Im Zeichen der IGeL

  • »Individuelle Gesundheitsleistungen« boomen, doch der Nutzen vieler SelbstzahlerInnen-Angebote ist zweifelhaft

aus: BIOSKOP Nr. 33, März 2006, Seite 15

ÄrztInnen bieten zunehmend Untersuchungen, Therapien und Beratungen an, die gesetzlich versicherte PatientInnen aus eigener Tasche bezahlen müssen. Vieles, was im Fachjargon »Individuelle Gesundheitsleistung« (IGeL) genannt wird, ist jedoch umstritten.

Rund eine Milliarde Euro setzen ÄrztInnen hier zu Lande pro Jahr mit IGeL-Leistungen um, schätzt das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Die Hochrechnung, die ZahnmedizinerInnen nicht mitzählt, basiert auf einer Befragung von 3.891 Versicherten, die das WIdO gemeinsam mit der nordrhein-westfälischen Verbraucherzentrale initiiert und ausgewertet hat. Fast jede/r vierte Befragte gab an, binnen zwölf Monaten ein IGeL-Angebot erhalten zu haben. Über 300 solcher SelbstzahlerInnen-Leistungen gibt es inzwischen; verkauft wird, was zumindest »ärztlich vertretbar« erscheint. Die Palette reicht von Vorsorge- und Gesundheitschecks über medizinisch-kosmetische Behandlungen bis zu neuartigen Untersuchungen und Therapien.

Frauen- und AugenärztInnen »igeln« laut WIdO-Studie am eifrigsten: Zehnmal häufiger als AllgemeinmedizinerInnen bieten sie Dienste an, die gesetzliche Kassen nicht bezahlen. Platz drei belegen die UrologInnen, es folgen HautärztInnen und OrthopädInnen. Der IGeL-Löwenanteil entfällt auf Ultraschall, Augeninnendruckmessungen sowie Tests zur Krebsfrüherkennung bei Frauen.

Die Autoren der Studie sehen die »Gefahr«, dass sich »igelnde« ÄrztInnen nicht mehr ausreichend auf Heilen und Lindern von Krankheiten konzentrierten, sondern auf die »private Liquidation von Befindlichkeitsstörungen«.

Impfungen vor Fernreisen und Eignungstests auf private Rechnung hält das WIdO für sinnvoll. Ein Großteil der IGeL-Angebote sei jedoch fragwürdig oder medizinisch überflüssig. »Nicht geeignet« seien etwa Ultraschalluntersuchungen der Gebärmutter und Eierstöcke, die viele GynäkologInnen zur Früherkennung von Krebs empfehlen. Zur Kategorie »umstritten« gehört laut WIdO der PSA-Test, der helfen soll, Prostatakrebs bei Männern aufzuspüren.

Die Autoren der Studie sehen die »Gefahr«, dass sich »igelnde« ÄrztInnen nicht mehr ausreichend auf Heilen und Lindern von Krankheiten konzentrierten, sondern auf die »private Liquidation von Befindlichkeitsstörungen«. Aber sie lehnen IGeL nicht kategorisch ab. Vielmehr fordern sie »Transparenz und Qualitätssicherung«.

Dies befürworten auch MedizinerInnen. Beim Deutschen Ärztetag im Mai 2004 wurde aggressives IGeL-Marketing ungezählter StandeskollegInnen ebenso beklagt wie die Tatsache, dass mangels Transparenz niemand sagen könne, wie hoch die Komplikationsrate bei IGeL-Angeboten sei. Für Abhilfe machten sich drei DelegiertInnen mit einem Antrag stark. Diejenigen IGeL, die »eigentlich« in den Katalog der gesetzlichen Krankenkassen gehörten, sollten dort auch aufgenommen werden. Dies gelte etwa für umweltmedizinische Beratungen und für das Screening zum Früherkennen des Glaukoms (Grüner Star), das schlimmstenfalls zur Erblindung führen könne. Zudem wurden die Landesärztekammern aufgefordert, zwei lange IGeL-Listen zu erarbeiten: Die eine solle alle sinnvollen und qualitätsgesicherten Leistungen aufzählen. Die andere müsse IGeL benennen, die ohne erkennbaren Nutzen oder gar riskant seien wie Spritzen von Vitamin- und Aufbaupräparaten.

Rechtsbrüche scheinen alltäglich zu sein.

Der Antrag wurde an den Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) überwiesen, »zur weiteren Beratung«. Gleichzeitig legte eine BÄK-Arbeitsgruppe einen Diskussionsentwurf zum Umgang mit IGeL vor, der 2006 beschlossen werden soll. Listen mit empfehlenswerten und sinnlosen Angeboten findet man darin allerdings nicht. Das Papier erinnert aber daran, dass gegen ärztliches Berufsrecht verstößt, wer PatientInnen aus kommerziellen Motiven medizinische Leistungen aufdrängt. Solche Rechtsbrüche scheinen alltäglich zu sein, jedenfalls legt die WldO-Studie dies nahe: Über 60 Prozent der Befragten gaben an, die angebotene SelbstzahlerInnen-Leistung gar nicht verlangt zu haben.

Ob unlautere Praktiken durch Appelle und Selbstverpflichtungen zu stoppen sind, darf bezweifelt werden. Die Versuchung, im Wartezimmer mit Plakaten, Faltblättern und Videos offensiv für IGeL zu werben, ist groß – schon wegen des ökonomischen Drucks, den inzwischen auch MedizinerInnen spüren.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2006
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