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»Ökonomische Mitverantwortung der leitenden Ärzte«

Über 2.000 Kliniken gibt es hierzulande. Deren Träger unterhalten einen Lobbyverband namens Deutsche Krankenhausgesellschaft(DKG). Derzeit ärgert sie sich öffentlich über die neue »Kontaktstelle für die Überprüfung von Zielvereinbarungen in Chefarztverträgen«, die Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery im November 2012 angekündigt hat. In einem offenen Brief an Montgomery wetterte DGK-Geschäftsführer Alfred Dänzer: »Wir werten die Einrichtung einer Kontaktstelle mit ‘Prangerfunktion’ als Vorgehensweise, die die zukünftige partnerschaftliche Zusammenarbeit zu beeinträchtigen droht.«

Unerhört findet Dänzer den folgenden Satz Montgomerys: »Die Anbindung der Chefarztverträge an vorrangig ökonomisch ausgerichtete Zielkriterien birgt Risiken für die Patientenversorgung und widerspricht dem ärztlichen Berufsethos.« Die Aussage des BÄK-Chefs erwecke den »diskreditierenden« Eindruck, dass Ärzten ihr finanzieller Vorteil wichtiger sei als das Patientenwohl, meint Dänzer. »Aus Krankenhaussicht«, so der DKG-Präsident, sei die herrschende Vertragspraxis legitim und notwendig – Begründung: »Die durch die gesetzlichen Finanzierungsrestriktionen begrenzten sächlichen und personellen Ressourcen erfordern eine ökonomische Mitverantwortung der leitenden Ärzte.«




ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Subtile Verhaltenssteuerung

  • Wie Chefärzte bezahlt werden – und warum einige Teile der Vergütung in der Kritik stehen und andere nicht

aus: BIOSKOP Nr. 60, Dezember 2012, Seiten 14+15

Im Sommer wurde öffentlich, was das Universitätsklinikum Göttingen noch immer als interne Vertragsangelegenheit behandelt: Der leitende Transplantationsmediziner soll pro Leberübertragung einen Bonus von rund 2.000 Euro von seinem Arbeitgeber erhalten haben, als Zugabe zu seinem Gehalt. Seither zeigen sich Fachgesellschaften in »großer Sorge«. Fallbezogene, leistungsorientierte Vergütungen für führende ÄrztInnen will anscheinend niemand mehr. Die Wirklichkeit sah und sieht anders aus.

Das Gesundheitswirtschaftsmagazin kma spekulierte im Oktober über die Gemütslage der Klinikmanager: »Die Branche ist stark verunsichert, wie die künftigen Vertragswerke gestaltet sein sollen. Schließlich geht es auch darum, gutes qualifiziertes Personal durch starke Anreize ans Haus zu binden. (…) Andererseits dürfen keine Kollateralschäden entstehen wie in Göttingen.«

Erstaunlich, dass ausgerechnet die Göttinger Bonus-Zahlungen eine gesamte Branche so verunsichert haben sollen. Denn eine journalistische Befragung fast aller Transplantationszentren kam im Herbst zu einem Ergebnis, das eher beruhigend aussieht: Laut Antworten der Geschäftsleitungen gibt es in keiner weiteren Klinik Chirurgen, die pro Transplantation zusätzlich belohnt wurden. Anscheinend haben Chirurgen, die auch in Regensburg und München in Verdacht geraten sind, Wartelisten manipuliert zu haben, nicht direkt zum eigenen finanziellen Vorteil gehandelt.

Offensichtlich ist aber: Seit Bekanntwerden des »Göttinger Falls« (Siehe BIOSKOP Nr. 59) stehen insbesondere Unikliniken unter Beobachtung – und viele Menschen ahnen, dass es eine vielgestaltige, aber wenig sichtbare Praxis gibt, um mit Geld ärztliches Verhalten zu steuern.

  • Beschluss des Ärztetages

Der Marburger Bund, der die Interessen angestellter und beamteter ÄrztInnen vertritt, demonstriert Skepsis. Beim Deutschen Ärztetag im Mai brachte der MB-Vorstand eine Entschließung ein. »Mit Sorge«, so der vom Ärzteparlament beschlossene Text, werde gesehen, dass immer mehr Chefarztverträge variable Einkommensbestandteile enthalten, die »primär an das Erreichen ökonomisch orientierter Ziele gekoppelt« sind – etwa an Fallzahlen, Umsatzziele oder Personalkosten.

Marburger Bund (MB), Bundesärztekammer (BÄK) und der Verband der leitenden Krankenhausärzte (VLK) kritisierten den Mustervertrag für Chefärzte, den die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) schon vor Jahren entworfen hatte. Paragraph 8 empfiehlt Bonus-Klauseln, die mit »Zielvereinbarungen« verbunden sind: Beispielsweise für Sach- und Personalkosten der Abteilung; für Leistungen nach Art und Menge, für die Einführung neuer Behandlungsmethoden, für Maßnahmen und Ergebnisse der Qualitätssicherung, für Inanspruchnahme nichtärztlicher Wahlleistungen wie Einzelzimmer oder Fernseh- und Telefonanschlüsse für PatientInnen.

  • Montgomerys Ankündigung

Zehn Jahre nach Einführung solcher leistungsbezogener Boni richten BÄK und VLK nun eine Kontaktstelle ein. Dort können ÄrztInnen bestehende oder geplante Verträge per E-Mail (dezernat5@baek.de) übermitteln und checken lassen. BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery favorisiert diese Art freiwilliger Selbstkontrolle und kündigt an: »Wir behalten uns vor, unsere Prüfungsergebnisse bei rechtlich oder ethisch-moralisch besonders kritischen Fällen auch zu veröffentlichen.«

Die Methoden, individuelles Verhalten mit geldwerten Belohnungen zu beeinflussen, sind vielfältig. Eingesetzt wird nicht nur der gegenwärtig kritisierte Bonus pro »Fall«. Altbekannt ist das persönliche »Liquidationsrecht« für Chefärzte, das die Ärzterepräsentanten nach wie vor gut finden. Neben einem auskömmlichen Festgehalt oder Beamtensold bessert(e)n leitende MedizinerInnen mit dem Privileg, Honorare von PrivatpatientInnen und privat zu zahlende Wahlleistungen selbst zu kassieren, ihr Einkommen erheblich auf.

  • Lukratives Liquidationsrecht

Gemäß »Vergütungsreport 2011« der Unternehmensberatungsfirma Kienbaum, erstellt auf Basis von Selbstauskünften leitender MedizinerInnen, nimmt die Zahl der Verträge mit Liquidationsrecht zwar stetig ab. Aber mit einem Anteil von 51 Prozent an den vereinbarten variablen Vergütungen seien sie immer noch »die dominierende Gestaltungsform«. Laut Kienbaums Report kassieren Chefärzte dafür im Durchschnitt 199.000 Euro im Jahr – zusätzlich zu ihrem Gehalt. Bonusvereinbarungen, geknüpft zum Beispiel an Operationszahlen, bringen vergleichsweise wenig ein, nämlich 79.000 Euro im Durchschnitt.

In der Regel sind Chefärzte heute verpflichtet, 20 bis 25 Prozent der Liquidationseinnahmen an das Krankenhaus abzuführen und das assistierende Personal über einen Pool zu beteiligen – nach einer ihnen genehmen Ordnung. Mögliche Folgen: PrivatpatientInnen werden bevorzugt behandelt, Wahlleistungen reichlich angeboten, mit Billigung der Geschäftsführung. Wenn OberärztInnen monatlich mit rund 1.000 Euro und andere helfende Hände mit 50 Euro mehr nach Hause gehen, differenzieren sich die Gehälter der Angestellten extrem und alle Verhältnisse in der Abteilung sind von Geld und vom Gusto der Chefärzte bestimmt.

  • Unter Druck

Das persönliche Liquidationsrecht für Chefärzte ist aber zunehmend unter Druck geraten, viele Klinikmanager, insbesondere an Unikliniken, wollen es nicht mehr gewähren. Schon 2003 beklagte eine BÄK-Führungskraft diese Trendwende im Deutschen Ärzteblatt als »autoritäre Vorgabe von Zielvereinbarungen«, »Aushöhlung jeglichen freiberuflichen Elements«, »Gängelei infolge Überregulierung und damit bewirkte Demotivation der Chefärzte«.

Mancher Insider hält das lukrative Liquidationsrecht tatsächlich für weniger schädlich als andere, leistungsbezogene Vergütungsmodelle. Zum Beispiel Hans Adolf Müller. Der Leiter des Gesundheitsmanagements der Knappschaft setzt auf den alten Anreiz: »Anders würden wir keine wirklich guten Chefärzte bekommen.« Zwar spielten bei der Privatliquidation die Menge und die Auswahl der Kranken durchaus eine Rolle. Doch passiere es »nicht so leicht, dass ein Patient unnötigerweise operiert oder ihm eine notwendige Operation vorenthalten wird«.

  • Beteiligungsvergütung plus Bonus

Kienbaum berichtet, dass statt dessen die »Beteiligungsvergütung« stetig zunimmt. Bei dieser Variante, derzeit in 14 Prozent der variabel gestalteten Verträge verbreitet, bekommen Chefärzte einen ausgehandelten Anteil an den Klinikeinnahmen, im Durchschnitt soll diese jährliche Zusatzeinnahme 115.000 Euro betragen. Die Folgen sind ähnlich, nur werden Management und Geschäftsführung einflussreicher.

Bei Bonusvereinbarungen wird die Berechnungsgrundlage für Zusatzverdienste vertraglich fixiert. Gezahlt wird, wenn ausgehandelte Kennziffern wie Fallzahlen, Patientenbelegung oder bestimmte Betriebsergebnisse erreicht werden. Kienbaum schätzt, dass sich ihr Anteil seit 2001 auf mehr als 20 Prozent verdoppelt hat – mehr noch: Fast jeder zweite Neuvertrag soll mittlerweile Bonusregelungen enthalten.

Kombinationen aller aufgeführten Praktiken sind möglich und üblich. Wozu das führt, bilanziert Kienbaum so: »Der variable Anteil an der Jahresgesamtvergütung ist mit 52 Prozent sehr hoch.«

  • Neue Einsichten?

Der erwähnten Kritik von BÄK und MB mag ein begrüßenswerter Reflexionsprozess zugrunde liegen. Fakt aber ist: Im Tarifvertrag, den der MB mit der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände abgeschlossen hat, werden im Paragraphen 21 einzelnen ÄrztInnen oder Arztgruppen auf Grundlage von Zielvereinbarungen Leistungsprämien als Kann-Leistungen zugestanden. Neben Fort- und Weiterbildung können auch »am Unternehmenserfolg orientierte Erfolgsprämien« vereinbart werden. Klinikträger, aber auch Chefärzte dürfen mit nachgeordnetem Personal Ziele definieren und variable Gehaltsbestandteile auf sämtlichen Stufen im Krankenhaus systematisch einführen.

Die Berufsordnungsgremien der BÄK beschlossen 2007 Hinweise zur »Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit im Umgang mit der Ökonomisierung des Gesundheitswesens«. Dort werden »Beteiligungsvergütungen« für Wahlleistungen, Gutachtertätigkeiten, ambulante Behandlung oder klinische Prüfungen berufsrechtlich als grundsätzlich in Ordnung erklärt. Von »Bonusverträgen« wird abgeraten, da sie die »ärztliche Unabhängigkeit« gefährden und dazu führen könnten, dass »nicht die für den Patienten günstigste Behandlungsform« gewählt werde. Möglich sollen solche Vereinbarungen dennoch sein, wenn »vereinbarte Zielgrößen wie Personal- oder Sachkosten oder bestimmte Untersuchungen und Behandlungen« zielgenau erreicht werden, der Bonus in einem angemessenen Verhältnis zum Festgehalt steht und im Einzelfall »aufgrund medizinischer Notwendigkeit« die Zielvorgaben außer Acht gelassen werden dürfen.

  • Knallharter Wettbewerb

Einzelheiten von Zielvereinbarungen sind weitgehend intransparent. Wir dürfen gespannt sein, was die BÄK an Verträgen künftig bekannt machen wird. Im Gespräch sind auch freundlich klingende Zielvorgaben wie medizinische Qualität, Zufriedenheit von MitarbeiterInnen und PatientInnen, bessere Hygiene oder ein verringerter Krankenstand des Personals.

Es darf aber bezweifelt werden, dass beklagter Kostendruck, existenzgefährdender Wettbewerb und laufender Umbau von Krankenhäusern zu profitorientierten Unternehmen ausgerechnet über finanzielle Anreize zu zähmen ist, sei es fürs Führungspersonal oder abhängig Beschäftigte. Gegen hohe Krankenstände, unzufriedene MitarbeiterInnen und Hygienemängel hilft vor allem eines: mehr Personal, weniger Wettbewerb.

© Erika Feyerabend, 2012
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