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Keine Erkenntnisse

Die Klinikprivatisierung schreitet voran: Nach Darstellung des Statistischen Bundesamtes waren 2007 bereits 29,7 Prozent der Krankenhäuser in privater Trägerschaft, 1993 betrug der Anteil noch 16,2 Prozent.

Solche Veränderungen wertet das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) »als Ausdruck und Folge eines Wettbewerbs, der Chancen zur Verbesserung der Qualität der Krankenhausversorgung bietet«. So jedenfalls antwortete das BMG am 3. September 2009 auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion. Das BMG, damals noch unter Leitung von Ulla Schmidt (SPD), vermag »eine Gefährdung der Krankenhausversorgung und des Erhalts der Vielfalt von Krankenhausträgern (…) noch nicht zu erkennen«. Auch lägen der Bundesregierung »keine Erkenntnisse darüber vor, dass Krankenhäuser in privater Trägerschaft eine schlechtere Behandlungsqualität erbingen als andere Krankenhäuser«.




Im BIOSKOP-Interview: Hans Hermann Heil-Ferrari, Geschäftsführer des Bildungsinstituts im Gesundheitswesen (BiG) in Essen

Kalkulationen im Krankenhaus

  • Die Deckelung der Kosten trifft Beschäftigte und Kranke, Investitionen in Kliniken erscheinen dennoch lukrativ

aus: BIOSKOP Nr. 49, März 2010, Seiten 6+7

Rund 2.100 Krankenhäuser gibt es hierzulande, pro Jahr werden dort etwa 17 Millionen Menschen von über einer Million Beschäftigten stationär behandelt und versorgt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die sich als »Sprachrohr« der Kliniken versteht, betont: »Mit 64,6 Milliarden Euro Umsatz sind die deutschen Krankenhäuser ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Wachstumsmarkt Gesundheitswesen.« Doch welcher Patient weiß eigentlich, wie Klinikmanager kalkulieren und welche ökonomischen Vorgaben die Behandlung beeinflussen? BioSkoplerin Erika Feyerabend hat einen Fachmann gefragt: Hans Hermann Heil-Ferrari, früher Personaldirektor eines Krankenhauses, heute Geschäftsführer des Bildungsinstituts im Gesundheitswesen (BiG) in Essen. Träger des BiG ist die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di.

BIOSKOP: Die Ausgaben der Krankenhäuser sind in Deutschland gedeckelt. Wie funktioniert das?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Das feste Krankenhausbudget haben wir schon seit vielen Jahren. Egal, was es an Tarifabschlüssen oder an technologischen Entwicklungen gibt: Die Krankenkassen können insgesamt nur ausgeben, was die Grundlohnsumme ihnen an Einnahmen erlaubt. Das hat der Gesetzgeber so gewollt, auch um Rationalisierungen in den Kliniken zu befördern. Aber es gibt auch eine flexible Budgetierung. Das heißt: Die Kostenträger verhandeln im Voraus ein Erlösbudget mit den Krankenhäusern. Rechnen die am Ende des Jahres tatsächlich genau so viele Leistungen ab wie erwartet – meistens im Rahmen der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs) – dann spricht man von einer »Punktlandung«.

BIOSKOP: Und was passiert, wenn die misslingt?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Erbringt eine Klinik mehr Leistungen als zuvor kalkuliert, etwa, weil sie mehr Patienten aufgenommen oder mehr mit schweren Erkrankungen behandelt hat, dann muss sie die Vergütung für ihre Mehrleistungen bis zu einem bestimmten Prozentsatz an die Versicherungen zurückzahlen – und zwar bis zu neunzig Prozent. Im ungünstigsten Fall bleiben der Klinik also nur 10 Prozent der Einnahmen. Wird weniger berechnet als erwartet – weil zum Beispiel weniger Patienten behandelt wurden mit vermeintlich leichteren Erkrankungen – dann bekommt das Krankenhaus bis zu 40 Prozent dieser Differenz erstattet, damit es trotz der Mindereinnahmen wirtschaftlich gesichert ist.

»Elemente einer Plan- und einer Marktwirtschaft werden
zusammengemischt.«

BIOSKOP: Wie geht es dann weiter?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Bei den nächsten Verhandlungen wird von den tatsächlich erbrachten Leistungen ausgegangen. Das ist ein Automatismus, der bei Budgetunterschreitungen im Ergebnis dazu führt, dass das Budget fürs nächste Jahr geringer angesetzt wird. Anders aber bei den Mehrleistungen, da sagt der Gesetzgeber: Vergütungen müssen zurückgezahlt werden, damit es sich für die Krankenhäuser letztlich nicht rechnet, mehr Leistungen zu erbringen als ausgehandelt. Das ist praktisch eine Bestrafung. Man sieht: Elemente einer Plan- und einer Marktwirtschaft werden zusammengemischt. Heraus kommt so etwas wie eine flexible Budgetierung.

BIOSKOP: Wie reagieren die Klinikmanager auf verpatzte Punktlandungen? Gibt es Wege, trotz Deckelung mehr anzubieten und einzunehmen?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Ja, es gibt auch Leistungen, die vom Budget unabhängig sind. Vor ein paar Jahren hat die damalige, schwarz-rote Bundesregierung die Krankenhäuser für ambulante Angebote geöffnet. Die so genannte Integrierte Versorgung soll niedergelassene Ärzte, Kliniken oder auch Reha-Einrichtungen vernetzen. Derzeit gibt es ungefähr 8.000 solcher Verträge mit den Krankenkassen. Beispielsweise werden totale Endoprothesen bei Hüftleiden – also neue Hüftgelenke – im Rahmen der Integrierten Versorgung eingesetzt. In einem solchen Fall tritt ein zweiter Partner in der ambulanten oder stationären Rehabilitation auf den Plan.

BIOSKOP: Geht es hier um verbesserte Versorgung oder um Gewinnmöglichkeiten jenseits des Budgets?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Auch die hochspezialisierten, ambulanten Leistungen sind budgetneutral, das sind besondere Diagnosen oder Therapien, die in einem Katalog zusammengefasst wurden gemäß § 116 SGB V. Die großen Klinikketten finden den Markt der ambulanten Dienstleistungen lukrativ. Die Rhön Klinikum AG zum Beispiel beackert dieses Feld sehr aggressiv. Kräftig investiert wird zudem in medizinische Versorgungszentren, die ebenfalls außerhalb des Budgets abgerechnet werden.

BIOSKOP: Wie funktioniert das?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Krankenhausketten kaufen Niederlassungssitze ambulant tätiger Fachärzte. Anschließend betreiben sie in Eigenregie ein Versorgungszentrum, in dem drei, vier oder neun Ärzte unterschiedlicher Disziplinen ambulant tätig sind. Konflikte mit niedergelassenen Fachärzten sind hier programmiert. Und nicht nur das: Erzielen Kliniken mit der ambulanten Versorgung mehr Leistungen, dann werden sie an anderer Stelle finanziell unattraktive Behandlungen abbauen. Das ist eine Umverteilung.

BIOSKOP: Gibt es noch weitere Einnahmequellen jenseits des Budgets?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Zum Beispiel die Disease-Management-Programme (DMP) mit chronisch erkrankten Menschen. In Nordrhein-Westfalen gibt es 30 Brustkrebszentren, die Verträge mit einer oder mehreren Krankenkassen haben. Für die Kliniken sind diese DMP interessant, weil sie budgetneutral sind. Im Wachstum ist auch das »ambulante Operieren«. Es gibt einen Katalog chirurgischer Eingriffe, die nur noch ambulant erbracht werden dürfen – vom niedergelassenen Facharzt oder eben von Krankenhäusern. Beispielsweise gehört der Leistenbruch dazu. Früher wurde diese Operation nur stationär gemacht, heute nur noch ambulant. Allerdings muss vor dem Eingriff geprüft werden, ob es nicht gewisse Risiken gibt, die eine stationäre Einweisung erfordern und ob die häusliche Versorgung des Patienten gewährleistet ist.

»Rationalisierungseffekte, beflügelt durch die Budgetierung, werden immer sichtbarer. In den letzten zehn Jahren sind in den Kliniken 90.000 Vollzeitstellen abgebaut worden, 50.000 davon in der Pflege.«

BIOSKOP: Die Budgets gibt es ja schon lange. Warum werden erst jetzt die Klagen von Patienten und Krankenhauspersonal immer lauter?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Rationalisierungseffekte, beflügelt durch die Budgetierung, werden immer sichtbarer. In den letzten zehn Jahren sind in den Kliniken 90.000 Vollzeitstellen abgebaut worden, 50.000 davon in der Pflege. Das war die Konsequenz aus der Deckelung. Nur die Ärzte hatten Zuwachs, teilweise wegen des neuen Arbeitszeitgesetzes. Mit dem Pflegeförderprogramm sollen in den nächsten drei Jahren 17.000 Stellen in der Pflege geschaffen werden. Die alte Regierung aus Union und SPD hatte wohl begriffen, dass die Rationierungsgrenze erreicht ist; die Zitrone ist bis zum letzten Tropfen ausgepresst. Es kann mir keiner sagen, dass es ohne Konsequenzen für Personal und Patienten ist, wenn jeder zehnte Arbeitsplatz betroffen ist. Wir haben zwar nicht sehr viel mehr Krankheitsfälle zu versorgen, aber die Patienten werden schneller entlassen. Also ist die Arbeit viel verdichteter als früher.

BIOSKOP: Öffentliche Mittel werden gedeckelt oder gesenkt, andererseits gibt es enorme Wachstums- und Technisierungsbestrebungen. Wie geht das zusammen?

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Die Betreiber deutscher Kliniken sind dreigeteilt. Es gibt öffentliche Krankenhäuser, es gibt freie, gemeinnützige Eigentümer vor allem der Kirchen, und es gibt die gewinnorientierten. Letztere haben Aufwind – und zwar zu Lasten der öffentlichen Krankenhausträger, teilweise auch der gemeinnützigen. Das heißt doch: Wer in Kliniken investiert, hält das für eine rentable, sichere, mit Renditen behaftete Investition in die Zukunft. Die privaten Unternehmensketten verfügen mittlerweile über 15,6 Prozent der Krankenhausbetten und 29,7 Prozent der Kliniken. Und politisch darf man nicht vergessen: Mit 4,5 Millionen Beschäftigten ist die Gesundheitsindustrie ein enorm wichtiger Wirtschaftsbereich.

BIOSKOP: Es drängt sich der Eindruck auf, dass es nicht mehr nur um Kranke geht, sondern auch um Gesunde, die privat zahlende Klinikkunden werden sollen…

HANS HERMANN HEIL-FERRARI: Insgesamt geben die Kassen einen verschwindend geringen Teil für Prävention aus. Aber es gibt immer mehr Leute, die aus eigener Tasche zahlen. Ich kenne Krankenhäuser, die haben Wellnessbereiche und Muckibuden eingerichtet. Oder Hotels, das ist schon bei einem Anteil von 20 Prozent Privatpatienten lukrativ. Das Krankenhaus Links der Weser in Bremen hat ein Fünf-Sterne-Hotel gebaut für Patienten, vielleicht für Nachsorgeaufenthalte oder für einen Manager-Checkup am Wochenende. Da ist man schon sehr kreativ.

© Erika Feyerabend / Hans Hermann Heil-Ferrari, 2009
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