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Ein Stück mehr Transparenz

Der jahrelange öffentliche Druck hat Wirkungen gezeitigt: Seit Herbst 2008 stehen auf der Website der Ständigen Impfkommission (STIKO) auch Angaben zu Interessenkonflikten. Grundlage sind abgefragte Selbstauskünfte der 16 STIKO-Mitglieder, konkrete Geldbeträge werden allerdings nicht veröffentlicht.

Wer erfahren will, ob und wie intensiv welche STIKO-Fachleute mit Impfstoffherstellern zusammenarbeiten, findet reichlich – mehr oder weniger genaue – Anhaltspunkte per Mausklick auf die Namen der ExpertInnen. Seit November 2012 veröffentlicht die STIKO auch Protokolle ihrer Sitzungen.

»Underreporting«

Ende 2009 sorgte die H1N1-Grippe (besser bekannt als »Schweinegrippe«) für Schlagzeilen und verunsicherte viele BürgerInnen. Anlass für die Abgeordnete Kathrin Vogler und ihre linke Bundestagsfraktion, kritische Fragen an die Bundesregierung zu stellen, auch zum »Gefährdungsrisiko« der Impfungen. Das seinerzeit noch von Philipp Rösler (FDP) geführte Gesundheitsministerium (BMG) antwortete am 18. Januar 2010 (Bundestags-Drucksache 17/491). Bemerkenswert sind die BMG-Ausführungen zum (un-)möglichen Nachweis potenzieller Impfschäden:

»Neben den Vorzügen der passiven Überwachung (Surveillance) von Verdachtsfällen von Nebenwirkungen bzw. Impfkomplikationen (Signalgenerierung), sind auch Limitationen dieses Systems zu berücksichtigen. So können zumeist keine unmittelbaren Aussagen zur Kausalität gemacht werden. Auch kann die tatsächliche Häufigkeit der Nebenwirkungen nicht bestimmt werden, selbst wenn die Durchimpfungsrate exakt erfasst würde. Bekanntermaßen werden nicht alle Nebenwirkungen gemeldet. Dieses so genannte underreporting hat mehrere Gründe, beispielsweise meldet sich der Patient nicht beim Arzt oder der Arzt stellt den Zusammenhang mit einer stattgefundenen Impfung nicht her (beispielsweise weil die Symptome einer Grunderkrankung zugeordnet werden). Das genaue Ausmaß des ‘underreporting’ lässt sich nicht exakt beziffern. Offenbar werden aber schwerwiegende Nebenwirkungen vollständiger gemeldet als nichtschwerwiegende Nebenwirkungen.«


Interessenkonflikte im Gesundheitswesen



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Geimpfte ExpertInnen?

  • Wie die Impfkommission ihre einflussreichen Empfehlungen beschließt, ist für die PatientInnen kaum durchschaubar

aus: BIOSKOP Nr. 40, Dezember 2007, Seiten 14+15

Die jüngste Gesundheitsreform hat den gesetzlich Versicherten einen neuen Anspruch beschert: Die Krankenkassen müssen nun alle Impfungen bezahlen, die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen werden. Wie deren Mitglieder entscheiden, ist undurchsichtig. Inzwischen argwöhnen nicht nur die Kostenträger, dass sich die formal unabhängigen STIKO-ExpertInnen vor allem an Bedürfnissen der Pharmaindustrie orientieren.

Eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht. Doch allgegenwärtig sind aufwändige Impfkampagnen und eindringliche Ansprachen wie diese: »Liebe Eltern, mit der Entscheidung, Ihr Kind impfen zu lassen, schützen Sie die Gesundheit Ihres Kindes, aber auch die anderer.« Der Appell steht so in einem »Ratgeber« der Hamburger Gesundheitsbehörde.

Die Broschüre plus »Impfkalender« gegen zehn ansteckende Krankheiten erschien Anfang 2006 – und war kurz darauf schon nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Ständigen Impfkommission (STIKO). Dieses ehrenamtliche Expertengremium, berufen vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und angesiedelt am Robert-Koch-Institut (RKI), hat hierzulande die Aufgabe, »Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen« zu erarbeiten. Und das tut die STIKO reichlich; Mitte 2006 erhob sie zwei weitere Impfungen zum Standard. Allen Säuglingen und Kleinkindern rät sie seitdem zur Immunisierung gegen Pneumokokken und Meningokokken. Im März 2007 ließ die STIKO dann eine viel beachtete Empfehlung folgen, gerichtet an Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren: Sie sollten sich gegen zwei Typen der Humanen Papilloma-Viren (HPV) impfen lassen, die im Verdacht stehen, Gebärmutterhalskrebs auszulösen. Wie lange der Impfschutz wirkt, ist unbekannt _(Siehe BIOSKOP Nr. 39.

Die STIKO-Empfehlung kam wenige Tage vor Inkraftreten des »GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes« am 1. April. Die Reform verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen, alle Impfungen zu bezahlen, welche die STIKO für empfehlenswert hält. Im April war erst ein Impfstoff gegen HPV auf dem Markt, das Produkt namens Gardasil war ein halbes Jahr vorher zugelassen worden. Eine komfortable Situation für den Hersteller Sanofi Pasteur MSD, der pro geimpfter Person 465 Euro von den Kassen verlangt. Der Umsatz von Gardasil ist hierzulande derzeit Spitze: Rund 28 Millionen Euro sollen es allein im August gewesen sein, bilanziert das Marktforschungsinstitut IMS Health, das vorzugsweise Pharmaunternehmen zu Diensten ist. Der Wettbewerb dürfte bald härter werden: Ende September meldete Sanofi-Konkurrent GlaxoSmithKline die Zulassung für seinen Impfstoff Cervarix, der ebenfalls vor HP-Viren schützen soll.

»Inzwischen habe ich mich entschieden, ganz in die Industrie zu wechseln.«

»Bei voller Umsetzung der STIKO-Empfehlungen«, orakelten die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen in einer Stellungnahme zur Gesundheitsreform, »ist mindestens von einer Verdreifachung der Ausgaben auszugehen.« Mit jährlichen Mehrkosten von rund 1,6 Milliarden Euro sei zu rechnen. Und die Kassen fügten hinzu: »Die STIKO steht in guter Verbindung zur Industrie. Teils mussten Empfehlungen wegen nachträglich erkannter Risiken zurückgenommen werden.« Ross und Reiter nannten sie allerdings nicht.

Wer recherchiert, stößt auf Auffälligkeiten, angefangen beim langjährigen STIKO-Vorsitzenden Heinz-Josef Schmitt. Der Mainzer Professor erhielt im Juni 2006 den Helmut-Stickl-Preis – für sein »besonderes Engagement zur Förderung des Impfgedankens«. Stifter der mit 10.000 Euro dotierten Auszeichnung ist der Gardasil-Hersteller Sanofi Pasteur MSD. Im September 2007 legte Schmitt den STIKO-Vorsitz nieder, der Ärztezeitung sagte er zur Begründung: »Inzwischen habe ich mich entschieden, ganz in die Industrie zu wechseln und für den Impfstoffhersteller Novartis Vaccines und Diagnostics tätig zu werden.«

Derzeit amtieren 16 STIKO-Mitglieder. Die meisten von ihnen tauchen auch auf Internetseiten auf, die von Impfstoffherstellern bezahlt werden. So bedankt sich GlaxoSmithKline auf seiner Website www.gesundes-kind.de für die wissenschaftliche Beratung durch Professor Fred Zepp. Beim »Forum Impfen«, finanziert von vier Impfstoffherstellern, machen gleich fünf STIKO-Mitglieder mit: die ProfessorInnen Frank Falkner von Sonnenburg, Christel Hülße, Friedrich Hofmann, Wolfgang Jilg sowie die Kinderärztin Dr. Ursel Lindlbauer-Eisenach. Die Unternehmen Baxter, Novartis Behring und Wyeth unterstützen die Arbeitsgemeinschaft Meningokokken beim Deutschen Grünen Kreuz. Aus der STIKO dabei ist Jan Leidel, hauptberuflich Leitender Medizinaldirektor des Kölner Gesundheitsamtes. Viel beschäftigt ist offensichtlich das STIKO-Mitglied Ulrich Heininger: Der Baseler Professor erklärte in Autorenangaben zu mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen, er habe Honorare von Impfstoffherstellern für Vorträge und Beratungstätigkeiten sowie finanzielle Unterstützung für Forschungsprojekte erhalten.

Geheim bleiben sollen nach wie vor Tagesordnungen, Themen, Methoden, Verlauf, Kontroversen und Abstimmungsergebnisse der STIKO-Beratungen; veröffentlicht werden sollen nur die abschließenden Empfehlungen und Begründungen.

Hinweise auf solche Nebentätigkeiten findet man im Fachblatt arznei-telegramm, das keine Anzeigen von Pharmafirmen druckt. Oder auf der Homepage des Vereins Ärzte für individuelle Impfentscheidung, deren Mitglieder für unabhängige Aufklärung zu Impfungen eintreten. Das RKI hingegen gibt bislang keine Hinweise zu potenziellen Interessenkonflikten von STIKO-Mitgliedern.

Das könnte sich bald ändern. Auf parlamentarische Nachfrage der bündnisgrünen Abgeordneten Birgitt Bender (Stuttgart) hat die Bundesregierung jedenfalls angekündigt, das RKI werde eine »erste Veröffentlichung« von Angaben, die auf Selbstauskünften der STIKO-Mitglieder beruhen, bis zum Jahresende im Internet publizieren. Die geheime Wahl des neuen STIKO-Vorsitzenden fand am 19. November statt. Zu Schmitts Nachfolger wurde der Wuppertaler Prof. Hofmann (Siehe Forum Impfen) erkoren, als neuer Stellvertretter fungiert der umtriebige Prof. Heininger.

Mehr »Verfahrenstransparenz« bei der STIKO hält das BMG erst mal nicht für nötig. Geheim bleiben sollen nach wie vor Tagesordnungen, Themen, Methoden, Verlauf, Kontroversen und Abstimmungsergebnisse der STIKO-Beratungen; veröffentlicht werden sollen nur die abschließenden Empfehlungen und Begründungen. »Ob der Ausschluss von Mitgliedern mit potenziellem Interessenkonflikt in der Praxis auch funktioniert«, schlussfolgert das arznei-telegramm, lässt sich daher nicht nachvollziehen.”

© Klaus-Peter Görlitzer, 2007
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Der jahrelange öffentliche Druck hat Wirkungen gezeitigt: Seit Herbst 2008 stehen auf der Website der Ständigen Impfkommission (STIKO) auch Angaben zu Interessenkonflikten. Grundlage sind abgefragte Selbstauskünfte der 16 STIKO-Mitglieder, konkrete Geldbeträge werden allerdings nicht veröffentlicht.

Wer erfahren will, ob und wie intensiv welche STIKO-Fachleute mit Impfstoffherstellern zusammenarbeiten, findet reichlich – mehr oder weniger genaue – Anhaltspunkte per Mausklick auf Namen der ExpertInnen. Seit November 2012 veröffentlicht die STIKO auch Protokolle ihrer Sitzungen.