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UTE BERTRAND, Journalistin und BioSkoplerin


Informationelle Begehrlichkeiten

  • Visionen, Ziele und Risiken angwandter Hirnforschung im Licht von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz

aus: BIOSKOP Nr. 37, März 2007, Seite 15

Binnen fünf Jahren will die Bundesregierung 34 Millionen Euro für die Hirnforschung ausgeben. Ein Netzwerk so genannter »Bernstein-Zentren« in Berlin, Freiburg, Göttingen und München soll bis 2010 die neuronalen Grundlagen von Hirnleistungen entdeckt haben. »Das Denken verstehen« heißt die einprägsame »Leitvision«. Ihre Promotoren verheißen, was auch Genforscher und Nanotechnologen in Aussicht stellen: Heilung von Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Creutzfeld-Jacob. Mit den Neurowissenschaften verwoben sind aber auch gesellschaftspolitische Ziele: Kontrolle, Stigmatisierung, Selektion.

»Die Gedanken sind frei… Hirnforschung und Persönlichkeitsrechte« lautete der Titel eines spannenden Symposiums im November in Düsseldorf. Gastgeberin Bettina Sokol, Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in NRW, brachte die Brisanz gleich auf den Punkt: »So ist im Zusammenhang mit den neueren Erkenntnissen der Hirnforschung sofort die Forderung nach einem Gehirnscreening bei Kindern und Jugendlichen erhoben worden, um spätere Verbrecher erkennen zu können.«

  • Gehirnscreenings

Es gibt tatsächlich Professoren, die solche Ideen vertreten. Zum Beispiel der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel. Unschuldige hätten zwar das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, »daneben aber steht die Aufgabe des Staates, seine Bürger zu schützen«, erläuterte Merkel der Zeitschrift GEO Wissen, warum er es für vertretbar hält, in Gehirnen nach Merkmalen für abweichendes Verhalten zu fahnden. Derartige Reihenuntersuchungen, findet der Mainzer Philosoph Thomas Metzinger, könnten »im Interesse der Gesellschaft« sein; beim Abwägen des potenziellen Nutzens müsse man sich die Zahl der Verbrechen und deren Folgekosten vor Augen führen.

Wer meint, derartige Screenings seien bisher allenfalls Science Fiction, sollte sich mal mit Professor Dieter Braus unterhalten. Der Hamburger Psychiater glaubt, die Technik schon zu beherrschen: Per Pilotstudie und mittels Kernspintomographie will er nachgewiesen haben, dass der Blutfluss in bestimmten Gehirnrealen bei pädophilen StraftäterInnen verändert sei.

  • Mit Neugierigen ist zu rechnen

Datenschützerin Sokol warnt, einmal wissenschaftlich anerkannt und zugelassen, werde das Hirnscreening weitere soziale Bereiche erobern. Beispiel Bildung: Eingesetzt im Vor- oder Grundschulalter, würden aus standardisierten Hirn-Checks weit reichende Schlüsse gezogen werden: »Möglich wären dann ganz fürsorglich individuelle Bildungskonzepte und frühes Training. Möglich wäre aber auch eine schnelle Einsortierung in die Kategorie: ‘Bildungsinvestition’ lohnt hier nicht.« Mit noch mehr Neugierigen ist zu rechnen: »Auch das Militär, selbstverständlich auch Arbeitgeber oder Versicherungen könnten an einem Blick ins Gehirn interessiert sein«, prophezeit Sokol.

  • Gehirnimplantate

Ihr Datenschützer-Kollege aus Berlin, Alexander Dix, beleuchtete eine weitere neurowissenschaftliche Errungenschaft: Gehirnimplantate. Eingesetzt werden sie etwa bei Menschen mit Parkinson, um Symptome wie Zittern zu lindern. Allerdings stelle sich auch die Frage nach der informationellen Selbstbestimmung: »Ist ein Mensch mit Gedächtnisimplantat eigentlich noch identisch mit dem Menschen vor Einpflanzung des Chips?« Perspektivisch, befürchtet Dix, könnten bestimmte PatientInnen gedrängt werden, technische Eingriffe in ihr Gehirn vornehmen zu lassen – mit dem Ziel, Pflegekosten zu sparen.

  • Ein Vorschlag von Ethik-ExpertInnen

Zudem denken Fachleute schon darüber nach, unter welchen Bedingungen Gehirnimplantate für Überwachungszwecke nutzbar gemacht werden können. So auch die bei der EU-Kommission angesiedelte »European Group on Ethics in Science and New Technologies«. 2005 legten die Ethik-ExpertInnen einen dicken Bericht vor. Darin verlangen sie, der Einsatz von Implantaten zwecks Überwachung dürfe nur dann zulässig sein, wenn ein unabhängiges Gericht dies genehmigt habe. Solche Vorschläge findet Datenschützer Dix ziemlich absurd: »Was nützt es eigentlich, wenn der Gesetzgeber anfängt, so etwas zu regeln?« Dix plädiert dafür, die Anwendung von Neuroimplantaten außerhalb medizinischer Anwendungen rechtlich auszuschließen.

© Ute Bertrand, 2007
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