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»Reclaim your DNA«

Kennen Sie Menschen, die in England, Wales oder Nordirland von der Polizei festgenommen wurden? Dann wird es höchste Zeit, mal hierhin zu surfen: www.reclaimyourdna.org

Auf dieser Internetseite stehen viele fundierte Informationen über die britische DNA-Datenbank. Und erläutert wird dort auch, wie man eine entnommene DNA-Probe zurückfordern kann.




Von HELEN WALLACE, GeneWatch UK

500.000 Freiwillige gesucht

  • In Großbritannien startet Anfang 2007 die Rekrutierung von Proben und Daten für die größte Biobank der Welt

aus: BIOSKOP Nr. 36, Dezember 2006, Seiten 8+9

Großbritannien will die größte Biobank der Welt aufbauen. Anfang 2007 startet die Rekrutierung von StudienteilnehmerInnen. 500.000 Freiwillige sollen binnen fünf Jahren Blut- und Urinproben für die »UK Biobank« zur Verfügung stellen. ForscherInnen wollen die aus genetischen und anderen Tests gewonnenen Daten verknüpfen – mit Angaben zu Lebensstilen und Informationen aus Krankenakten, archiviert beim National Health Service (NHS). Auf diese Weise soll ermittelt werden, wie Gene, Verhalten und Umweltfaktoren die menschliche Gesundheit beeinflussen.

Geldgeber der UK Biobank mit Sitz in Manchester sind die britische Regierung und die Stiftung Wellcome Trust. Sie haben bislang 61,5 Millionen britische Pfund für den Aufbau der Biobank zugesichert, die erstmals im April 1999 angeregt worden war. Als IdeengeberInnen gelten WissenschaftlerInnen des Pharmamultis SmithKline Beecham, der 2001 mit Konkurrent GlaxoWellcome fusionierte; die Partner nennen sich seitdem GlaxoSmithKline.

Mitmachen und beforscht werden sollen ausschließlich Menschen zwischen 40 und 69 Jahren. Denn in dieser Altersgruppe steige die Möglichkeit, weit verbreitete Krankheiten zu bekommen und ihren Verlauf zu studieren – beispielsweise Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Schlaganfall, Diabetes und Demenz.

BefürworterInnen der UK Biobank sagen, eine so groß angelegte Sammlung genetischer Daten werde helfen, »multifaktorielle« Krankheiten, deren Ursachen vielfältig sind, wissenschaftlich zu verstehen. Versprochen wird auch, dass eine solche Forschung die Diagnostik, die Vorhersage, die Behandlung und sogar die Vermeidung von Krankheiten verbessern werde. Allerdings wurden Ziele und wissenschaftliche Konzepte der UK Biobank schon in ihrer Entwicklungsphase kontrovers diskutiert und verändert.

Der Forschungsansatz ist sehr umstritten – auch unter WissenschaftlerInnen.

Das ursprüngliche »wissenschaftliche Protokoll« der UK Biobank, publiziert in 2002, betont die Rolle genetischer Faktoren für Krankheiten, die ebenso wie Umweltfaktoren aufgespürt werden sollten. Dieser Erkenntnisweg soll zur Entwicklung von Gentests führen, um damit Erkrankungsrisiken bei Menschen vorhersagen zu können, die gar keine Krankheitsanzeichen haben. Wer als »genetisch verdächtig« identifiziert worden sei, könnte vorbeugend behandelt werden, zum Beispiel mit Arzneien. Oder er/sie könne gezielt beraten werden, um den persönlichen Lebensstil, etwa die Ernährung, an das angebliche Erkrankungsrisiko anzupassen.

Der Ansatz ist sehr umstritten – selbst unter WissenschaftlerInnen. Sie halten es für unwahrscheinlich, dass genetische Tests multifaktorielle Krankheiten wirklich verlässlich vorhersagen können. Als fragwürdig gilt auch, ob diese Variante der »Prävention« volkswirtschaftlich Sinn macht. Die meisten Studien, die Gene in Verbindung mit weit verbreiteten Leiden gebracht haben, erwiesen sich später als unhaltbar: Die Rolle vererbter Faktoren wurde übertrieben; oft basierten sie auf Zwillingsstudien, die sich auf Annahmen von Eugenikern des frühen zwanzigsten Jahrhunderts stützten – und heute als veraltet und falsch gelten.

Inzwischen gibt es Hinweise, dass die BiobankerInnen ihre Prioriäten womöglich ändern werden. Im Vordergrund scheint nun die Suche nach so genannten Biomarkern zu stehen, also die Beobachtung biologischer Faktoren, die eine Krankheit begleiten; auch sie könnten zur Vorhersage individueller Risiken genutzt werden.

Ungewiss ist, welche Forschung die UK Biobank tatsächlich betreiben wird.

Typische, von ÄrztInnen routinemäßig zu Rate gezogene Biomarker sind zum Beispiel die Höhe des Blutdrucks oder der Cholesterinspiegel im Blut. Pharmaunternehmen sind kontinuierlich daran interessiert, neue Biomarker zu finden. Denn das Geschäft mit Medikamenten gegen Risikofaktoren ist sehr profitabel, das zeigt eindrücklich das Beispiel der Statine: Die Präparate, die den Cholesterinspiegel im Blut senken sollen und durchaus umstritten sind, gelten als weltweit am meisten verkaufte Gruppe verordneter Arzneien. Im Vergleich zu genanalytischen Tests haben nicht-genetische Biomarker einige Vorteile: Sie können Krankheiten oft besser vorhersagen, und ihre Werte können sich laufend ändern. So wird das Risiko eines Menschen – anders als beim Gentest – nicht einmal im Leben klassifiziert, und die Effekte einer medizinischen Behandlung lassen sich daran messen, wie die Biomarker-Werten sich verändern. Gleichwohl kritisieren viele ÄrztInnen, dass der vorbeugende Gebrauch von Statinen, die im Prinzip lebensrettend sein können, auf immer mehr gesunde Menschen ausgeweitet wird, die diese Medikamente gar nicht brauchen, wohl aber der Pharmaindustrie reichlich Gewinne einbringen.

Ungewiss ist, welche Forschung die UK Biobank tatsächlich betreiben wird. Es gibt noch keine Studien, und die MacherInnen haben angekündigt, ein neues wissenschaftliches Protokoll vorzulegen. Welche Informationen erhoben, welche Forschungsfragen von WissenschaftlerInnen und Firmen gestellt werden, ist derzeit ebenso unklar wie der praktische Nutzen, den Proben und Daten bescheren sollen.

In der Praxis werden sich ForscherInnen wohl auf individuelle Verhaltensweisen wie Ernährung und Rauchen konzentrieren, verknüpft mit genetischen und biologischen Faktoren, die in den gesammelten Blut- und Urinproben messbar werden sollen.

Der Fragebogen für Menschen, die Blut und Urin spenden, ist lang. Dennoch bleiben viele Themen ausgespart. So wird das Projekt mit der Suche nach Umwelteinflüssen beworben, weshalb Gedanken an Luftverschmutzung oder Pestizide nahe liegen. Doch schädliche Belastungen, die womöglich von Geburt an oder später auf SpenderInnen der Körpersubstanzen eingewirkt haben, werden kaum abgefragt. In der Praxis werden sich ForscherInnen wohl auf individuelle Verhaltensweisen wie Ernährung und Rauchen konzentrieren, verknüpft mit genetischen und biologischen Faktoren, die in den gesammelten Blut- und Urinproben messbar werden sollen. Dabei ist fragwürdig, wie verlässlich und umfassend die Daten aus den vorhandenen Krankenakten, die den BiobankerInnen zur Verfügung stehen, im Einzelfall tatsächlich sein werden. Gibt wirklich jede/r Teilnehmer/in wahrheitsgemäß Verhaltensweisen an, die als gesundheitsschädigend gelten?

Wer unter welchen Bedingungen Daten der UK Biobank bekommen und verwerten darf, ist noch nicht eindeutig geklärt. Bisher vorgelegte Entwürfe schließen keine Firma aus; auch das Patentieren von Genen und Biomarkern wird nicht eingeschränkt. Offen ist, ob Versicherer, Arbeitgeber oder Hersteller riskanter Stoffe die UK Biobank für eigene Studien nutzen dürfen. Tatsache ist: Lebensmittelfirmen, Tabak- und Chemieunternehmen und auch die Nuklearindustrie haben in der Vergangenheit Forschungen zu genetischen Risiken gefördert.

Von Anfang an haben Regierung und Pharmaindustrie die UK Biobank als Pilotprojekt angesehen – für eine universelle Datenbank, die den Zugang zu Krankengeschichten und biologischen Proben der gesamten Bevölkerung ermöglicht. Aus Sicht der britischen Regierung ist eine umfassende DNA-Datenbank für gesundheitliche, wissenschaftliche und kriminalistische Zwecke wünschenswert. 2003 schlug die Regierung vor, jedes Baby solle gleich nach der Geburt genotypisiert werden. Der Plan wurde aus Kostengründen verworfen, könnte aber erneut auf den Tisch kommen. Premierminister Tony Blair hat kürzlich erklärt, die polizeiliche Nationale DNA-Datenbank, die ohnehin schon die größte weltweit ist, solle noch ausgebaut werden, um so viele Menschen wie möglich zu erfassen.

Dass anonymisierte Daten tatsächlich geheim bleiben, können auch die besten Sicherheitsvorkehrungen
nicht garantieren.

Die UK Biobank wird InteressentInnen aus Forschung und Industrie wahrscheinlich nicht den direkten Zugriff auf die gesammelten Proben erlauben, sondern auf Anfrag in der Regel selbst analysieren. Allerdings wird die Polizei auf die genetischen Profile zugreifen dürfen, sofern ein Gericht dies in konkreten Fällen erlaubt. KritikerInnen warnen, dass es dabei nicht bleiben wird: Vielmehr könnte die UK Biobank zum Pilotprojekt für eine forensische Datenbank durch die Hintertür werden – Instrument eines nationalen Überwachungssystems, das DNA-Profile nutzt, die mit der persönlichen NHS-Nummer (Krankenversicherungsnummer) verknüpft sind.

Selbst beste Sicherheitsvorkehrungen können nicht garantieren, dass anonymisierte Daten tatsächlich geheim bleiben. Viele Informationsstückchen, gewonnen aus der Biobank und kombiniert mit anderen Daten, könnten eine Re-Identifikation einzelner Personen zumindest ermöglichen. Es gibt kein britisches Gesetz, das Arbeitgebern und Versicherern verbietet, Ergebnisse molekulargenetischer Tests zu verwenden, etwa beim Auswählen von Personal oder beim Festlegen von Versicherungsprämien. Unwahrscheinlich ist zwar, dass Versicherer die Biobank zur direkten Suche nach individuellen Daten gebrauchen dürfen. Doch Gentests, entwickelt mit Hilfe der Biobank, können künftig durchaus auch wirtschaftlichen Zwecken dienen. Dies wird »Risikopersonen« eher schaden als nützen.

© Helen Wallace, 2006
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