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GeneWatch UK

beobachtet, analysiert und kritisiert die Anwendung gentechnischer Errungenschaften in Großbritannien und anderswo. Gegen das Speichern von Gen-Profilen in der DNA-Datenbank für polizeiliche Zwecke mobilisiert GeneWatch ebenso wie gegen die UK Biobank (Siehe BIOSKOP Nr. 36).

Kritisch beäugt werden von GeneWatch auch Reproduktionsmedizin, biologische Waffen, genetische Manipulationen an Tieren sowie den Einsatz gentechnischer Methoden in Landwirtschaft und Lebensmitteln. Wer sich über Gentechnik und Biopolitik in Großbritannien auf dem Laufenden halten möchte, sollte diese Internetadresse regelmäßig anklicken: www.genewatch.org




Von HELEN WALLACE, GeneWatch UK

Millionen Gen-Profile für die Polizei

  • Großbritanniens DNA-Datenbank verstößt gegen die Menschenrechte – die Regierung will weiter sammeln

aus: BIOSKOP Nr. 46, Juni 2009, Seiten 12+13

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Dezember entschieden: Die unbegrenzte Speicherung von DNA-Proben und Fingerabdrücken unschuldiger Personen, die in Großbritannien praktiziert wird, verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Nun hat die britische Regierung eine Konsultation angekündigt. Die Streitfrage: Welche Informationen dürfen wie lange aufbewahrt werden?

Seit 2004 nimmt die Polizei in England und Wales allen, die wegen eines berichtspflichtigen Delikts festgenommen wurden, Fingerabdrücke und eine Blutprobe zur DNA-Testung ab. Verschont bleibt nur, wer etwa Parkgebühren nicht bezahlt oder unzulässig Müll wegwirft. Offiziell werden all diese Informationen bis zum 100. Lebensjahr aufbewahrt – auch wenn es weder zur Anklage noch zur Verurteilung gekommen ist.

So konnte Großbritannien die mit rund fünf Millionen Einträgen weltweit größte forensische DNA-Datenbank aufbauen. Es wird vermutet, dass mindestens 800.000 registrierte Personen unschuldig sind. Noch viel größer ist die Zahl derjenigen Gespeicherten, die lediglich verwarnt oder wegen kleiner Delikte verurteilt worden sind. Und auch Minderjährige sind eingeschlossen, rund eine Million der Erfassten sollen zwischen 10 und 18 Jahre alt sein. Viele davon sind unschuldig oder erhielten lediglich eine polizeiliche Verwarnung; gerichtlich verurteilt wurden nur sehr wenige.

  • Bis zum 100. Lebensjahr

Ein besonders schockierender Aspekt der DNA-Datenbasis ist ihre rassistische Ausrichtung. Ungefähr 40 Prozent der farbigen Männer sind dort erfasst, von den Weißen ist es jeder Zehnte. Bei jungen Farbigen ist die Tendenz noch schlimmer: Über drei von vier Männern zwischen 15 und 35 Jahren existieren Berichte in der Datenbank. Auch besonders verletzliche Personen, Kinder und Menschen mit geistiger Behinderung eingeschlossen, landen in der Datenbank, wenn sie von der Polizei festgenommen wurden.

Wird jemand inhaftiert, analysiert ein Labor seine oder ihre DNA und erstellt ein sogenanntes DNA-Profil, das in der Nationalen Datenbank aufbewahrt wird und auch genutzt werden kann, um Verwandte aufzuspüren. Die Ausgangsprobe enthält persönliche, genetische Daten, zum Teil auch zur Gesundheit des Betroffenen. Die Probe wird von kommerziellen Labors aufbewahrt, die im Auftrag der Polizei arbeiten. Verknüpft werden können die computerisierten DNA-Profile und Fingerabdrücke mit einem Bericht über die Festnahme, der im Nationalen Polizeicomputer gespeichert ist. Dieser Bericht darf ebenfalls bis zum 100. Lebensjahr aufbewahrt werden und kann dazu dienen, den Gespeicherten ein Visa oder eine Arbeitsstelle zu verweigern. Jede Nacht werden die DNA-Profile mit den vielen aus der kriminellen Szene abgeglichen, die ebenfalls in der Computer-Datenbank stecken.

  • Falsche Übereinstimmungen

Dabei sind Beweise, die mittels DNA-Proben entstehen, keineswegs narrensicher: Es gibt falsche Übereinstimmungen zwischen den verglichenen Profilen, es kann DNA am Tatort untergeschoben werden. Die Anzahl falscher Übereinstimmungen wird vermutlich signifikant wachsen, wenn in ungefähr zwei Jahren der EU-weite Routineabgleich der DNA-Profile startet.

Der Aufklärung von Verbrechen hilft diese Praxis nicht. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre ist der Datenbestand verdoppelt worden. Die Anzahl der Verbrechen, die über DNA-Abgleiche gelöst wurden, ist nicht gestiegen. In Schottland haben die meisten unschuldigen Menschen ihre Fingerabdrücke und DNA aus dem Register entfernen lassen, sobald sie freigesprochen wurden oder die Anzeige fallen gelassen wurde. Nur eine sehr kleine Anzahl von Personen, die wegen schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte angeklagt oder verurteilt wurden, sind für begrenzte Zeit in der schottischen Datenbank registriert. Bei der Verbrechensaufklärung ist diese Datenbasis genau so effektiv wie die britische.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg hat die britische Regierung nun also eine Konsultation angekündigt. Die vorliegenden Vorschläge sind weithin kritisiert worden. Die Regierung will die Profile und Fingerabdrücke Unschuldiger für sechs bis zwölf Jahre aufbewahren dürfen. Sollten diese Leute erneut festgenommen und erneut für unschuldig befunden werden, sollen die gesammelten Informationen für weitere sechs bis zwölf Jahre gespeichert werden dürfen, bevor sie aus der Datenbank entfernt werden.

  • Die Pläne des Innenministeriums

Das Innenministerium will außerdem Zugriff auf DNA-Profile und Fingerabdrücke aller Erwachsenen, die wegen eines berichtspflichtigen Deliktes verurteilt oder verwarnt wurden – und zwar auf unbegrenzte Zeit (üblich bis zum 100. Lebensjahr). Bei Kindern und Jugendlichen, die für ein einziges, kleines Delikt verurteilt oder verwarnt wurden, sollen die Registrierungen erst mit dem 18. Lebensjahr gelöscht werden – aber nur, wenn sie nicht noch einmal festgenommen wurden. Minderjährige, die noch einmal oder wegen eines ernsthafteres Vergehens inhaftiert wurden, sollen so behandelt werden wie die Erwachsenen. Und wer schon verurteilt wurde, aber nicht ins Gefängnis musste, soll jeder Zeit zur DNA-Abgabe bei der Polizei aufgefordert werden dürfen, wenn diese nicht im Zuge der früheren Untersuchungen erfolgt ist.

Die Regierung meint, dass sie all diese Informationen brauche – denn wer einmal festgenommen wurde, könne auch zukünftig Verbrechen begehen. Das Innenministerium kalkuliert fälschlicherweise, dass eine wiederholte Festnahme gleichzusetzen sei mit einem Rückfall – selbst wenn die Betroffenen niemals ein Delikt begangen haben. Auch bei kleinen Verstößen – Betteln beispielsweise oder unerlaubte politische Aktionen – wird unterstellt, dass die Festgenommenen in Zukunft schwere Verbrechen begehen könnten. Das soll auch für Kinder ab 10 Jahren gelten, wenn sie mal Zäune oder Fenster mit Fußbällen oder Schneebällen beschädigen.

Das Innenministerium schlägt auch vor, alle DNA-Proben zu vernichten, nachdem sie in computerisierte Profile verwandelt und überprüft worden sind. Dies ist in der Tat sehr wichtig, um Missbrauch zu verhindern. Schließlich stecken in den gesammelten Proben sensible, genetische Informationen, die für den erklärten Zweck (eventuelle Identifizierungen) gar nicht nötig sind. In einigen europäischen Ländern, beispielsweise in Deutschland, ist das Zerstören der Proben zumindest offiziell üblich. In Großbritannien werden kommerzielle Firmen derzeit dafür bezahlt, die Proben weiterhin aufzubewahren. In der Vergangenheit sind einige solcher Proben für umstrittene genetische Forschungen und ohne Zustimmung der Betroffenen genutzt worden – auch um von der DNA auf die ethnische Herkunft schließen zu können.

  • Internationales Interesse

Es ist fraglich, ob die neuen Vorschläge der Regierung legal sind. Eine Überprüfung kann allerdings langwierig sein: Es hat sieben Jahre gedauert, bis der Europäische Gerichtshof über das bisher geltende Gesetz urteilte und Nachbesserungen gefordert hat. Die beiden wichtigsten Oppositionsparteien sind gegen die Regierungsvorschläge und wollen, dass DNA-Profile Unschuldiger nicht in der britischen Datenbank landen. Wie die Konsultation ausgehen und was mit dem Gesetz passieren wird, hängt aber vor allem davon ab, wie entschlossen Menschen in England, Wales und Nordirland für ihre Rechte eintreten.

Britische und US-amerikanische Biotechnologiefirmen agieren im Geschäftsfeld der DNA-Analysen international, und das treibt den Ausbau solcher Datenbanken weltweit voran. In den USA, zum Beispiel in Kalifornien, wird bereits DNA von bloß »verdächtigen«, aber keineswegs verurteilten Personen aufbewahrt. Unternehmen und Regierungen aus vielen anderen Ländern beobachten genau, was in Großbritannien passiert. Mit welchen minimalen Schutzstandards wird man zukünftig rechnen können? Südafrika, Bermuda, Malaysia, Tansania, Jamaika, Russland, Usbekistan und China gehören zu denjenigen Staaten, die kürzlich beschlossen haben, DNA-Datenbanken zu etablieren.

© Helen Wallace, 2009
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