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Keine verlässliche Vorhersage

Das Institut für Humangenetik am Universitätsklinikum Münster informiert auf seinen Internetseiten auch über »erblichen Brust- und Eierstockkrebs«. Die Ausführungen des Instituts zur Aussagekraft von molekulargenetischen Untersuchungen der BRCA-Gene sind bemerkenswert:

»Wichtig zu wissen: Nicht jede Veränderung in einem BRCA1- oder BRCA2-Gen führt zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Brust- oder Eierstockkrebs. Es gibt Normvarianten in den Bausteinen der Gene, so genannte Polymorphismen, die keine Bedeutung für die Tumorentstehung haben. Aus diesem Grund ist es erforderlich – sofern eine Ratsuchende nicht selbst erkrankt ist – mindestens eine erkrankte Frau aus ihrer Familie zu untersuchen. Auch dann kann es vorkommen, dass nicht sicher zu beurteilen ist, ob eine gefundene Veränderung in einem BRCA1- oder BRCA2-Gen mit der Brust- oder Eierstockkrebserkrankung in Zusammenhang steht. In diesen Fällen kann keine genauere Eingrenzung des persönlichen Risikos vorgenommen werden. Grundsätzlich gilt, dass das Ergebnis der Untersuchung keine Vorhersage erlaubt, ob und gegebenenfalls wann eine Frau tatsächlich an Brust- und/oder Eierstockkrebs erkrankt. Es kann nur eine Wahrscheinlichkeit angegeben werden, mit der Brust- und/oder Eierstockkrebs bis zu einem bestimmten Lebensalter auftritt.«


Die 6-seitige AKF-Stellungnahme »Angelina Jolie, BRCA-Gentests und genetisch bedingter Brustkrebs« steht auf der Homepage des Arbeitskreises Frauengesundheit.

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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Warnung vor Jolie-Effekt

  • Arbeitskreis Frauengesundheit veröffentlicht kritische Stellungnahme zu teuren Tests auf »Brustkrebs-Gene«

aus: BIOSKOP Nr. 62, Juni 2013, Seite 13

Hollywood-Star Angelina Jolie hat sich »vorbeugend« beide Brüste entfernen und anschließend mit Silikonkissen rekonstruieren lassen. Dieses Ereignis machte weltweit Schlagzeilen. Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Deutschland warnt »vor vereinfachenden Sichtweisen auf komplexe medizinische Eingriffe«.

Zu den Operationen sah sich die 37-jährige Jolie veranlasst, nachdem mittels Genanalyse ein mutiertes BRCA1-Gen festgestellt wurde. »Meine Ärzte schätzten, dass ich ein 87-prozentiges Risiko für Brustkrebs und ein 50-prozentiges Risiko für Eierstockkrebs habe, wenngleich das Risiko bei jeder Frau unterschiedlich ist«, schrieb die Schauspielerin in einem Artikel, erschienen am 14. Mai in der New York Times – Überschrift: »Meine medizinische Wahl«.

Jolie, deren Mutter mit 56 Jahren an Eierstockkrebs gestorben war, hat ihre persönliche Geschichte veröffentlicht, um Frauen zu Gentests zu ermutigen, insbesondere, wenn bereits Familienangehörige an Krebs erkrankt waren. Gleichzeitig kritisierte die Schauspielerin die hohen Kosten von BRCA-Gentests – über 3.000 Dollar seien ein »Hindernis für viele Frauen«.

Dass auffällige Testergebnisse noch keine verlässliche Vorhersage zum Ob und Wann einer Brustkrebserkrankung erlauben, räumen auch HumangenetikerInnen ein.

Die Nachricht aus den USA hat offenbar viele Frauen auch in Deutschland alarmiert. Laut Umfrage der Nachrichtenagentur dpa sollen in ungezählten Kliniken genetische Beratungstermine auf Monate ausgebucht sein. Reichlich Zulauf hat zum Beispiel das Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs am Berliner Uniklinikum Charité: Dort ließen sich seit Jolies Aufsatz täglich »statt 10 jetzt bis zu 30 Frauen beraten«, sagte die Gynäkologin Dorothee Speiser dem Berliner Kurier. Die Frauen wollten erfahren, ob sie ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs hätten und eine Entfernung des Brustdrüsengewebes für sie infrage käme.

Auf die umfangreiche Berichterstattung reagierte der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) mit einer fundierte Stellungnahme, die auch vor »trügerischen und falschen Vorstellungen warnen« soll. Die Nachricht über die »persönliche Wahl« von Angelina Jolie betreffe 99 Prozent der Frauen gerade nicht, da BRCA1- und BRCA2-Mutationen »bei deutlich weniger als ein Prozent der Bevölkerung« auftreten, betont der AKF. Tatsache sei auch, dass nicht automatisch Krebs bekommen werde, wer ein mutiertes Gen geerbt habe: Die Erkrankungshäufigkeit liege in diesem Fall bei etwa 60 Prozent, schreibt der AKF.

Dass auffällige Testergebnisse noch keine verlässliche Vorhersage zum Ob und Wann einer Brustkrebserkrankung erlauben, räumen auch HumangenetikerInnen ein (Siehe Randbemerkung). Vor diesem Hintergrund empfiehlt der AKF denjenigen, die eine BRCA-Analyse erwägen, sich bereits im Vorfeld »realistische Gedanken zu möglichen Auswirkungen der Testergebnisse« zu machen.

Insgesamt stellt der AKF fest, dass evidenzbasierte Patienteninformationen zu BRCA-Gentests und genetisch bedingtem Brustkrebs fehlen.

Wer sich wie Jolie nach Diagnostik einer BRCA-Genmutation für eine chirurgische Entfernung der Brust entscheide, habe damit keine hundertprozentige Sicherheit. Daten zum Langzeitüberleben von Frauen, die sich derartigen prophylaktischen Operationen unterziehen, fehlten bisher. Zudem müsse jede Zehnte trotz des radikalen Eingriffs damit rechnen, dass sich im verbliebenen, umliegenden Gewebe später dennoch Brustkrebs entwickele, schreibt der AKF.

Probleme gebe es häufig bei der Rekonstruktion der Brust, die – mangels Masse an eigenem Gewebe – häufig mit Implantaten aus Silikon erfolgt. Dabei verweist der AKF auf Erkenntnisse der US-amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA. Nach dem Einpflanzen von Silikonimplantaten in die Brust soll es mindestens einmal binnen drei Jahren zu Komplikationen kommen – etwa Brustschmerzen, Empfindungsstörungen, Kapselfibrosen.

Insgesamt stellt der AKF fest, dass evidenzbasierte Patienteninformationen zu BRCA-Gentests und genetisch bedingtem Brustkrebs fehlen. Wenig erfährt man über ökonomische Hintergründe, Medienberichte blenden sie meist aus. In der AKF-Stellungnahme stehen zumindest einige interessante Hinweise, beispielsweise zu Patenten der US-Firma Myriad Genetics auf BRCA-Gene und über PR-Methoden einer privaten Klinik in Beverly Hills, die sich auf Brustkrebspatientinnen spezialisiert und auch Angelina Jolie behandelt hat.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2013
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